Dienstag, 19.06.2007 | 16:02 Uhr
Autor: Serendipity
“Punk rock means deliberately bad music, deliberately bad clothing, deliberately bad language and deliberately bad behaviour. Means shooting yourself in the foot when it comes to every expectation society will ever have for you but still standing tall about it, loving who you are and somehow forging a shared community with all the other fuck-ups.”
Als ich vor einigen Monaten durch die Regale der kleinen Verlage auf der Londoner Buchmesse stöberte, suchte ich nach nichts Bestimmten, nach Unentdecktem, Eigenarten, Neuem, eben den Büchern, die man auf einer Messe zu finden hofft, weil es der grösste Buchladen neuer Literatur ist.
Yusef lebt in Buffalo, im Staat New York, mit einer Gruppe Punks. Ein Haschisch rauchender Sufi mit Irokesenschnitt spielt den Ruf des Muezzin auf seiner E-Gitarre vom Dach, während unten wilde Debatten über die Ursprünge von Iggy Pop Songs im Koran diskutiert werden. Das Wohnzimmer dient tagsüber als Moschee, in dem auch die verschleierte Schwester das Gebet anführt, nachts verwandelt es sich in den Schauplatz lautstarker Punkfeste. Yusefs Freunde kämpfen alle mit dem, was es heisst jung und Muslim zu sein, im heutigen Amerika.
So ungefähr stand es im Klapptext und ich dachte: warum nicht?
Die 247 Seiten (der englischen Ausgabe) lesen sich auch ohne Vorwissen der Punkszene oder des Korans (für die zahreichen Einwürfe in Arabisch und Urdu gibt es ein Glossar) flüssig. Schon nach dem ersten Kapitel hat man das Gefühl, selbst eine Matratze im Chaos dieser aussergewöhnlichen WG bezogen zu haben. Das Buch ist die Darstellung einer Gruppe Jugendlicher, die versuchen den rebellischen Nihilismus einer Musikrichtung als Befreiung von den Vorurteilen einer Gesellschaft zu empfinden und mit ihrer tief verwurzelten Spiritualität zu verbinden. Dabei geht einem dieser Roman wesentlich mehr unter die Haut als manch zuckersüsse, deutsche Werke über desillusionierte Teenager, die zwischen Vorabendserie, Lehrerliebe, Magersucht und Promimagazinen, den Weg zum ersten Kuss finden. Und das ohne an Witz oder Selbstironie zu verlieren.
The Taqwacores geht weit über die Fiktion hinaus. Es ist das Bild einer Grauzone in der schwarz-weiss Welt, in der Muslime oft präsentiert werden (nicht nur in Amerika). Heute gilt es als Gründungsmanifesto einer Punkszene, die es vor seiner ersten Veröffentlichung als selbstkopiertes Ringbuchheft im Jahr 2003 noch garnicht gab. Der Name selbst setzt sich aus Taqwa (Arabisch: Frömmigkeit) und –core, wie hard-core, zusammen und ist eine Erfindung des Autors, Michael Muhammad Knight.
Knight selbst wuchs als Irischer Katholik auf, konvertierte mit 16 zum Islam, lebte in Pakistan und erwägte Jihadi zu werden, bevor er sich von radikalislamischen Ideen abkehrte und Schriftsteller wurde. The Taqwacores war eigentlich als Knights Abschied an den Islam gedacht. Er scheint jedoch weiter auf der Suche: sein neuester Roman Blue Eyed Devil – eine Amerikanisch-muslimische Odyssee, erzählt von Knights 20.000 Meilen Busreise quer durch Amerika auf der Suche nach einheimischem, Amerikanischem Islam und ist gerade in den USA veröffentlicht worden.
Der deutsche Verlag, der sich diesem Werk annehmen möchte (und ich hoffe sehr, es findet sich einer!), muss sich auf eine Kontroverse gefasst machen*, aber wie es unter weisen Verlegern immer heisst: es gibt Bücher, da gibt es kein Drumherum.
Wer mehr über Taqwacore und die Reichweite dieses Buches wissen möchte, dem sei der Guardian Artikel vom April 2007, der Newsweek Artikel vom Juni 2007 und die dazugehörige Diskussion zweier Taqwacores in MySpace empfohlen.
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Michael Muhammad Knight: The Taqwacores
Telegram Books, London, 2007
* der Britische Verlag zog es vor einige ihm blasphemisch erscheinende Passagen zu kürzen, ihre volle Version kann man auf den Webseiten des Amerikanischen Verlags nachlesen.
Tags: amerikanische Literatur, englische Literatur, Islam, Punk, Taqwacore
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