Samstag, 03.07.2010 | 09:27 Uhr
Autor: rmatern
Mit ‘Flamingos am Abendfenster’ ist der inzwischen fünfte Gedichtband von Gyde Callesen erschienen. Veröffentlicht wurde der Titel bei Wiesenburg, in der hauseigenen ‚LyrikEdition‘, wie die vorherigen Bände auch.
Die Autorin (Jg. 1975) zeigt sich mit ihren Gedichten routiniert, demonstriert Auseinandersetzungen mit der Tradition, weiß auch eigene Akzente zu setzen. Sie stößt mit ihren Gedichten aber keine Tür auf. Man findet Anklänge, die von der Spätromantik – zu der ich auch eine Autorin wie Ingeborg Bachmann, einen Autor wie Thomas Kling rechne – bis hin zur Alltagslyrik reichen.
Besonderes Gewicht erhalten in den traditionell als ambitioniert geltenden Texten Worte wie ‘beginn’, ‘anfang’. Poetografisch (Logik wäre fehl am Platz) beschreibt sie ihre Haltung, auch ihr Vorhaben:
beginn des beginns
lass uns die realität
der realität zurückgeben
und die gespenster zu
den gespenstern
zurückkehren lassen
lass uns das Namenlose
beim Namen nennen
und das Unfassbare begreifen
lass uns in den spiegel schauen
dessen bilder wahr sind
Der formulierte Anspruch orientiert sich an Überbauten, wie sie in der jüngeren lyrischen Tradition immer mal wieder formuliert worden sind. Aber unspektakulär, gleichsam ordnend, als gelte es, den nicht selten aufgedunsenen Ungetümen ein Ende zu bereiten, wenn nicht im Schluss das Wörtchen ‘wahr’ ins Bild fiele. Zu der angeführten Haltung fehlt aber noch eine Besonderheit: Die Trauer.
reif
nimm die trauer
trage sie hinter die worte
neben die klarheit
auf die gelassenheit
und gib sie
dem anfang zurück
Der Kontext lässt diese Emotion jedoch kaum spüren. Die Worte ‘Klarheit’ und ‘Gelassenheit’ sind abstrakt. Lediglich der Versbau vermittelt noch so etwas wie Bewegung. Schade, dass eine greifbare Geschichte zu diesem, in der modernen Lyrik nicht untypischen, Allgemeinplatz fehlt. Als hätte die Autorin diesen Mangel gespürt, erläutert sie auch diesen Sachverhalt: Über die Erörterung von Sprache, und jetzt wird es spannend, kommt die vorenthaltene Geschichte zum Tragen:
wenn du
wenn du da gewesen wärest
hätte ich dir meine geschichten erzählt
hätte mit dir das träume steigen lassen geübt
hätte mich an dich gelehnt
und von anfängen geredet
und nicht gefragt
hätte ich dich
wenn du da gewesen wärest
hätte ich nicht geschrieben
was ich getan hätte
wenn du da gewesen wärest
Auch in diesem Gedicht wird der Überbau weiterentwickelt: In einem allgemein beschriebenen Verhältnis von Leben und Literatur. Doch dies hervorzuheben, würde lediglich die Routine, das Abhaken eines weiteren Parameters betonen, der tausendfach verbürgt ist und bloß noch langweilen kann. Entscheidend ist für mich vielmehr, dass Callesen, eventuell nicht einmal beabsichtigt, das Ende vom Anfang zum Ausdruck bringt. Sie demonstriert bespielhaft, wie es zur sprachlichen Leere der modernen Lyrik kommen kann. Zu hoffen und zu wünschen bleibt, dass sie eine Tür findet, durch die ihre ausgehungert wirkenden ‚Flamingos‘ ins Freie gelangen.
Reinhard Matern
Callesen, Gyde
Flamingos am Abendfenster
Gedichte
119 Seiten
Wiesenburg Verlag
ISBN-Nr.978-3-942063-48-7
Preis: 16,80 €
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26.08.2010 um 17:48 Uhr
[…] https://blog.literaturwelt.de/archiv/gyde-callesens-neue-lyrik-das-ende-vom-anfang/ […]
02.09.2010 um 12:36 Uhr
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