Mittwoch, 30.06.2010 | 18:30 Uhr
Autor: JosefBordat
Peter Hennicke und Susanne Bodach erklären, wie die Energiefrage positiv beantwortet werden kann
Um den Herausforderungen, denen sich die Welt angesichts des Klimawandels ausgesetzt sieht, nämlich immer mehr Menschen mit immer weniger Aufwand an natürlichen Rohstoffen Nahrung, Kleidung, Wohnung und Arbeit zu beschaffen, in wirtschaftlich und sozial vertretbarer Weise nachzukommen, aber auch aufgrund der seit langem bekannten Endlichkeit fossiler Brennstoffe, bedarf es einer Wende hin zu erneuerbaren Energieträgern. Die Energiethematik ist der Schlüssel zu einem wirksamen und nachhaltigen Klima- und Ressourcenschutz. Diese These, die nicht ganz neu ist, wird in dem Buch „Energierevolution“ aufgegriffen und ausführlich begründet. Die Autoren, Peter Hennicke, ehemals Präsident des renommierten „Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt und Energie“, und die Architektin Susanne Bodach, die ihre Expertise zu Energiefragen in Schwellen- und Entwicklungsländern in die Arbeit des Wuppertal Instituts einbringt, werfen (zusammen mit ihren Kollegen Nikolaus Supersberger und Dorle Riechert) einen Blick auf die „postkarbone Gesellschaft“, in der anders gewirtschaftet wird als heute: nachhaltig, effizient und an den „wahren Kosten“ orientiert, was bedeutet, dass die Umweltbelastungen und andere „Nebeneffekte“ eingepreist werden (Internalisierung externer Kosten durch Steuern bzw. Abgaben).
Den nötigen Veränderungen hin zu dieser Wirtschaftsweise das Attribut „revolutionär“ anzuheften, wie dies die Autoren tun, ist wohl eher der Bedeutung der Aufgabe geschuldet als der Art und Weise, wie diese zu bewältigen ist. Hennicke und Bodach zeigen denn auch in didaktisch getakteten Schritten, gestützt von (nicht immer ganz aktuellem) Datenmaterial, das in übersichtlichen Graphiken angeboten wird, und unter Einbeziehung vieler technischer Einzelheiten, dennoch stets um Stringenz und Nachvollziehbarkeit bemüht und ohne sich zu sehr im Detail zu verlieren, dass der ganz große Umbruch ausbleiben kann, wenn in den nächsten Jahren ein geordneter Wandel vollzogen wird. Allerdings müssen dazu bald die Weichen gestellt werden, denn: „Der Menschheit verbleiben nur noch etwa ein, maximal anderthalb Jahrzehnte kostbarer Zeit, ganz energisch durch forcierte Markteinführung der erneuerbaren Energien auf einen klimaverträglicheren und ressourcensparenden Kurs umzusteuern.“ (S. 144)
Die für diesen Kurs nötige Bewusstseinsänderung anzuregen, ist ein wichtiges Anliegen des Buches. In der Tat nehmen sich die Autoren gängiger Befürchtungen an und erklären mit ihrer Erneuerbarkeits-Effizienz-Formel vieles für obsolet, was den Verbraucher umtreibt. Ihre Vision des „sanften Pfades“ macht klar: Niemand muss auf basale Annehmlichkeiten verzichten, denn Effizienzsteigerungen überlagern die durch Konsumverzicht zu erzielenden Spareffekte um ein Vielfaches. Niemand muss fürchten, dass wir irgendwann auf dem Trockenen sitzen, denn die erneuerbaren Energien können weite Bereiche der Versorgung übernehmen. Niemand muss meinen, dem Klimaschutz werde unsere erfolgreiche Wirtschaftsform geopfert, ist diese doch gerade der Garant für die Implementierung von Technologien der Nachhaltigkeit in die Energiemärkte der Zukunft.
Hennicke und Bodach verbinden die „Zwei-Grad-Welt“ (gemeint ist eine globale Wirtschaftsorganisation, die den Kohlenstoffdioxid-Ausstoß derart in Grenzen hält, dass die Temperatur bis zum Ende des 21. Jahrhunderts im Mittel „nur“ um maximal 2 Grad ansteigt) mit der „2000-Watt-Gesellschaft“. Auf diesen Wert lasse sich der Pro-Kopf-Verbrauch Dank „markant verbesserter Energie- und Ressourceneffizienz“ und „ohne Einbußen von Wohlstand“ reduzieren (S. 55). Im Moment sind es in den Industrienationen etwa 6000 Watt, die jeder Mensch jährlich beansprucht.
Da Energieversorgung und Klimaschutz globale Themen sind, gehen die Autoren zu Recht sehr ausführlich auf die Lage in den Schwellen- und Entwicklungsländern ein.
Hier sind gewöhnlich die Sorgen am größten. Wie nur sollen die „Armen“, die 80 Prozent der Weltbevölkerung ausmachen, die Umstellung auf den „sanften Pfad“ leisten? Und was ist mit den „Neureichen“ wie China und Indien, Brasilien und Mexiko, Argentinien und Südafrika, die alle gerade dabei sind, in den Genuss des ressourcenintensiven Wohlstands zu kommen – sollen sie nun verzichten, damit die Welt nicht an den Folgen unserer nunmehr schon 200 Jahre andauernden modernen Lebensweise zugrunde geht? Mit welchem Recht sollten wir diesen Regionen die lang ersehnte Industrialisierung nehmen wollen? Was, wenn die, die heute einige hundert Watt pro Kopf und Jahr verbrauchen, auf unsere Werte kommen? Hennicke und Bodach zeigen, dass dies die falschen Fragen sind, weil sie von falschen Voraussetzungen ausgehen. Die Lösung liege, so die Autoren, gerade darin, dass diese ressourcenintensive Industrialisierung nicht nötig sei, weil die ganze Welt, also auch die immer noch oder ehemals „Armen“ vom technischen Fortschritt profitieren können. Diese sogar, ohne Lehrgeld zu zahlen: Die Entwicklungsländer müssen nicht erst alle Stadien der Industrialisierung durchlaufen (im Klartext: unsere Fehler wiederholen), sie können die fossile Ära einfach überspringen und gleich den „sanften Pfad“ effizienter und erneuerbarer Energien einschlagen. „Leapfrogging“ heißt das Zauberwort. Und es klingt überzeugend, wenn man es sich an einfachen Beispielen vor Augen führt, etwa an der Substitution der aufwändigen Festnetz-Telephonie durch das Handy. Die Technik ist da, und wenn sie da ist, dann ist sie im Zeitalter der Globalisierung für alle da. Durch „Leapfrogging“ steigt der „Energiekonsum“ eines Inders eben nicht auf die 6000 Watt eines Deutschen Anno 2010, sondern auf die 2000 Watt des Bewohners der zukünftigen Postkarbon-Gesellschaft. Hennicke und Bodach führen das mit einer Selbstverständlichkeit vor, dass man sich fragt, warum sich eigentlich so viele Menschen überhaupt Sorgen machen. So ganz überzeugen kann die Rechnung am Ende aber eben doch nicht, denn: Wenn von 100 Menschen heute 20 jeweils 6000 Watt pro Kopf und Jahr verbrauchen und 80 jeweils 500 Watt, dann sind das 160.000 Watt. Künftig werden es (idealiter) 200.000 Watt sein. Die benötigte Steigerung von 25 Prozent muss durch höhere Effizienz kompensiert werden. Das wird schwer. Alle Sorgenfalten werden auch durch „Leapfrogging“ nicht geglättet.
Dennoch: Die Autoren verweisen auf die richtigen und wichtigen Aspekte einer Zukunft, die sich dem ökologischen Umbau verschreibt, ohne die ökonomischen Gegebenheiten zu vergessen. Das macht die Darstellung zu einer sehr gelungenen und empfehlenswerten. Eine kurze, übersichtliche Auflistung thematisch einschlägiger regionaler und globaler Institutionen sowie ein nützliches Glossar runden das gut lesbare Buch ab.
Schließlich bleibt zu hoffen, was die Autoren in ihrem Fazit diagnostizieren, dass sich nämlich „die Chancen für den sanften Pfad […] erhöht haben“ (S. 197). Dass dieser ein essentieller Teil einer globalen Klimaschutzarchitektur ist, machen sie deutlich. Ebenso die Zusammenhänge von Klima und Umwelt mit Fragen der Ernährung und des wirtschaftlichen Fortschritts sowie mit Aspekten regionaler Stabilität und globaler Sicherheit. Insoweit haben Peter Hennicke und Susanne Bodach nicht nur einen kleinen, aber wertvollen Beitrag zur Bewusstseinsänderung im Hinblick auf die Bewältigung des Energieproblems unserer Zeit geleistet, sondern darüber hinaus auch verdeutlicht, dass jede Maßnahme, die in diesem Sinne für erneuerbare, effiziente Energien getroffen wird, der Entwicklung und dem Frieden dient.
Peter Hennicke / Susanne Bodach: Energierevolution. Effizienzsteigerung und erneuerbare Energien als neue globale Herausforderung
München: oekom verlag (2010)
221 Seiten, 19,90 EUR
ISBN-13: 978-3-86581-205-6
Josef Bordat
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