Sonntag, 09.05.2010 | 18:13 Uhr

Autor: rmatern

“Mopus” von Osisín Curran: Die Macht der Projektion

Erzählt wird von einem gealterten, schwermütigen Tramp, der sein Leben als Hausierer, Betrüger, Kaffeezubereiter und Bankräuber verbracht hat. William Bluebottle – der Schweiger – hängt am Ende seines Lebens in Tagträumen, Erinnerungen und Halluzinationen gefangen und versucht allmählich, einen Weg aus diesem Verhängnis zu finden. Zu den projezierten Inhalten gehört sein entlaufener Hund, ebenso seine verstorbene (?) Schwester, die ihm im Zuge der Tagtraumereignisse drohend erscheint, als würde sie von ihm verlangen, sich aufzulösen.

Der Roman beginnt vergleichsweise poetisch, beschreibt im Garten des Hauses die sinnlichen Eindrücke von William und seinem Hund, ebenso eine sprachlich erzeugte, gegenüber dem Hund sonderbar wirkende Nähe: Der entlaufene Hund wird im Roman als alt gewordenes Du performativ erzeugt (“Du stellst dich auf die Beine …”). Die Szene wandelt sich durch den Besuch der ‘geisterhaften’ Schwester: Der Ort wird unwirtlich, apokalyptisch.

Je stärker sich der Roman jedoch der Geschichte von Bluebottle zuwendet, desto verhaltener, berichtender, auch abkürzender wird die Sprache. Die präsentierte Lebensgeschichte beinhaltet nicht mehr als Episoden, die William in schwierigen finanziellen und sozialen Verhältnissen zeigen. Konstant hält sich hingegen die Suche nach seinem entlaufenden Hund, ebenso das Sehen der Schwester und das Vermuten eines von ihr inszenierten Komplotts.

Es tauchen in der Welt von Bluebottle aber noch weitere Projektionen auf: Im Radio verkündete Terroranschläge werden als Taten von ‘Geistern’ aus der Zukunft beschrieben (Zar3: die dritte Zukunfts-Anarchisten-Revolution). Eine Abtei aus dem 9. Jhd. bietet eine Fluchtburg in der Vergangenheit. Die Projektionen reichen weit über die persönlichen Verhältnisse hinaus, tragen dazu bei, tatsächlich so etwas wie eine sonderbare Welt bzw. Sicht der Dinge zu konstituieren.

Poetisch wird der Roman erst wieder gegen Ende. Kleine Einsprengseln im Fortgang des Werks zeigen Bluebottle und seinen Hund zwar wie zu Beginn im Garten: William hat im Zuge seiner Tagträume begonnen, manches in ein Buch zu schreiben. Die Sprache neu entzünden lässt allerdings erst die Liebe zu Clementine …

Besonders eindrücklich sind die poetischen Passagen und das bis in die Erzählperspektive eingebrachte Verhältnis Mensch – Hund. Etwas ratlos können hingegen die ‘Geister’ machen, ob nun als Beteiligte von Zar3 oder in Gestalt der Schwester. Interpretieren ließen sich diese Kreationen nicht allein als literarischer Kunstgriff: Dazu ist die provinziell wirkende Welt um Bluebottle großenteils zu ‘normal’, insbesondere die Reaktion auf ihn und sein Geschreibsel. Eine empirisch glaubhafte Hauptfigur wird man in diesem Kontext kaum anders als psychotisch bezeichnen können. Diese Gefangenheit in den eigenen Projektionen wird im Ende konzeptionell aufgelöst: William ist im Rahmen der Liebesgeschichte überzeugt, dass ihn die Schwester nicht mehr verfolgen wird. Ob die präsentierte Verschränkung von Kreativität und psychischer Auffälligkeit dadurch ein Ende findet, bleibt freilich offen.

Der Klappentext des Buchs gibt den Anschein, als führe das Werk auf direkte Weise ins Erzählen und Erfinden. Derart allgemein würde ich dies nicht formulieren wollen. Für mich ist der Roman ein sehr spezielles Werk, dessen Hauptfigur auch der amerikanischen Provinz anzurechnen ist. Das Buch ist 2008 bei Counterpath Press (Denver, USA) im amerikanischen Original erschienen. Der Nonprofitverlag ist literarischen Experimenten gegenüber aufgeschlossen. Der Verlag Luftschacht (Wien) hat im Herbst 2009 das Werk in der Übersetzung von Raimund Vargas herausgebracht. Osisín Curran ist in Maine (USA) aufgewachsen und lebt mit seiner Frau in Montreal (Kanada).

Reinhard Matern

Osisín Curran,
Mopus. Roman,
gebunden, 239 Seiten,
Luftschacht, Wien,
ISBN 978-3-902373-44-1,
19,50 Euro

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