Mittwoch, 20.06.2007 | 23:02 Uhr

Autor: Andreas Schneider

zu viele Tragflächen

tragflachen.gif Das häufigste Problem, dass mich an der zeitgenössischen (und nicht nur an dieser) Lyrik zaudern läßt: Sie kommt kryptisch daher. Auf verschlungenen Pfaden, die sich dem Auge des Lesers verschließen. Das mag in Ordnung sein, wenn man die Muße hat, sich darauf einzulassen. Um zu interpretieren, überhaupt interpretieren zu wollen, bedarf es dabei biografischer Kenntnisse über den Autor, die Autorin. Lebensumstände, Epoche etc. Das Werk mit dem Urheber und seiner Zeit untrennbar verwoben.

Bei Tobias Sommer ist das anders. Seine Gedichte kommen klar daher und trotzdem wirken sie in ihrer Sprache prätentiös. Im Sinne von anspruchsvoll. Tobias Sommer wählt weiche Worte, Kunstgebilde, die bei mir Bilder entstehen lassen wie zum Beispiel die Zeile Flugzeuge zäh wie Nabelschnüre aus dem Gedicht Brunnentief graben. Eine sensible Spurensuche. Tobias Sommer bezeichnet sich selbst als Träumer, Leser und Schreiber. Mit dieser Selbsteinschätzung liegt er ganz sicher nicht falsch, denn brachiale Wortgeschöpfe, die in den meisten Fällen einen Mangel an Inhalt (oder Klarheit) kompensieren sollen, gibt es bei ihm nicht. Das erinnert mich an ein Zitat von Kurt Weidemann: Wer nicht klar denken kann, kann auch nicht klar schreiben aus seinem Buch: Wortarmut. Im Wettlauf mit der Nachdenklichkeit. Ein Wettlauf übrigens, an dem der 28-jährige Autor Tobias Sommer sicherlich nicht teilnehmen muss.

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6 Kommentare

  1. dirk.schroeder Says:

    Man kann Gedichte als Fußnoten zu Biografien lesen – Genießer tun das nicht: sie erwarten, dass das Gedicht dabei hat, was es braucht, sind andernfalls enttäuscht. (Was nicht heißt, das man Genuss nicht erarbeiten müsste – am Gedicht.)

    Und ob “ brachiale Wortgeschöpfe“ etwas „kompensieren sollen“ oder eine andere poetische Funktion haben, ist am einzelnen Text zu prüfen.

    Dem Gedanken zur Klarheit stimme ich gerne bei. Es sind aber nicht die schlechtesten Dichter, denen die Klarheit fehlt, die zu sagen versuchen, was sie verwundert, statt wie man’s erklärt.

  2. Andreas Schneider Says:

    Lieber Herr Schröder,

    Lyrik tue ich keineswegs als Fußnote biografischer Daten ab. Da tun Sie mir unrecht. Mich interessiert eben die Gesamtheit.

    Was Genießer und den Genuss anbetrifft, pflichte ich Ihnen bei. Ein „unvollständiges“ Gedicht wird nicht vollständig, wenn die Biografie des Urhebers geläufig ist.

    Und was die brachialen Wortgeschöpfe anbetrifft: Natürlich passen sie – manchmal. Nur eben nicht zwangsläufig. Aus meiner ganz persönlichen (geprüften) Sicht, die nicht nach Allgemeingültigkeit strebt.

    Auf jeden Fall Ihnen vielen Dank für die bereichernden Einwände.

  3. Andreas Schneider Says:

    Anmerken möchte ich noch folgendes: Werbung ist ja soweit ok, aber ich möchte doch ein wenig mehr Relevanz einfordern. Daher distanziere ich mich von den Links auf Amazon. Die passen nicht. Jedenfalls nicht zu Tobias Sommer und zu viele Tragflächen.

  4. Oliver Gassner Says:

    In der Tat werden die Amazonlinks automatisch eingefügt.
    Manchmal ist das Zufällige zwar unpassend aber dennoch nicht per se irrelevant 😉
    sich von Automaten udn automatismen zu distanzieren ist so eine Sache, die getrennt zu diskutieren wäre 😉

  5. Literatur-Essay « Glarean Magazin Says:

    […] – Literaturwelt.de: Zu viele Tragflächen […]

  6. Dirk Says:

    Ich finde es eigentlich recht interessant, wenn ein Gedicht auch Anspielungen und gewissse kleine Rätsel enthält. So kryptisch wie Trakl muss es nicht sein und es gibt auch viele lesenswerte Gedichte, die eine werkimmanente Interpretation ohne Weiteres zulassen, aber so ab und an ist es doch schön einen versteckten Hinweis im Gedicht zu finden und sich zu freuen, dass man darüber gestolpert ist. Das gibt einen doch auch ein wenig intellektuelle Selbstbestätigung,
    Wenn man das Hintergrundwissen nicht hat, kann es natürlich frustrierend sein.

    Meiner Einschätzung nach sind einige Gedichte vom Autor aber auch gar nicht erst „verschlüsselt“ worden, sondern sind über Jahrzehnte und Jahrhunderte gesellschaftlichen Wandels irgendwie fremd und unverständlich geworden. Die Sprache von Andreas Gryphius ist z.B. deutlich anders als die unsrige und auch die Themen waren damals brandaktuell (Pest, 30-Jähriger Krieg) und sind heute komplett entgegenwärtig.

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