Mittwoch, 07.04.2010 | 08:38 Uhr
Autor: JosefBordat
Katrin Hauer beschreibt in „Der plötzliche Tod“ Wahrnehmung, Deutung und Bewältigung zweier frühneuzeitlicher Naturkatastrophen in kulturwissenschaftlicher Perspektive
„Das ist eine Katastrophe!“ – Oft sagen wir diesen Satz und meinen damit, dass etwas nicht so läuft, wie es laufen sollte. Wir bezeichnen damit in geradezu inflationärer Weise Ereignisse oder Zustände, die für den Mensch negativ sind. Damit wird der Begriff zunehmend semantisch ausgehöhlt. Wenn dann etwas passiert wie jüngst in Haiti oder Chile, ein Erdbeben, das für ganze Länder eine Katastrophe im engeren Sinne bedeutet, müssen die Medien sich mit Superlativen überbieten, um die an besondere Reize, wie sie das Wort „Katastrophe“ auslösen sollte, längst gewöhnte Öffentlichkeit geeignet anzusprechen. Die im informationalen Zeitalter der Dauerberieselung hohe Aufmerksamkeitsschwelle wird dann mit Zusätzen wie „Mega-“ oder Superlativen wie „Das schwerste, größte, höchste…“ zu überwinden versucht.
Dem häufigen Alltagsgebrauch zum Trotz bleibt unklar, was eine Katastrophe ist. Eine anerkannte Definition zu erarbeiten ist schwierig bis unmöglich, zumal der Begriff in unterschiedlichen Kontexten ganz verschiedene Bedeutungen hat. Eine interdisziplinäre Verständigung fällt daher schwer. Fest steht: Katastrophen beschäftigen die Menschheit seit ihren Anfängen. In den Mythen der frühen Hochkulturen sind sie ebenso thematisiert wie in der Bibel. Katastrophen sind ein Grundthema des Menschen in seiner Weltorientierung.
Die akademische Beschäftigung mit Katastrophen ist trotzdem immer noch sehr naturwissenschaftlich geprägt. Das notwendige Verstehen der Katastrophe bleibt dabei hinter dem Erklären ihrer physikalischen Ursache und ihrer mechanischen Kausalität zurück. Kulturwissenschaftliche Annäherungen an das Thema sind wichtig, um der Komplexität des Gegenstands gerecht zu werden.
Die Historikerin Katrin Hauer, die sich schwerpunktmäßig mit Umwelt- und Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit beschäftigt, leistet mit einer solchen Betrachtung der Bergstürze von Salzburg (1669) und Plurs (1618) einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der Wahrnehmungs- und Deutungsmuster sowie der gesellschaftlichen Bewältigungsstrategien zweier Katastrophen des 17. Jahrhunderts. In „Der plötzliche Tod“, einer überarbeiteten Version ihrer Magisterarbeit, die 2009 im LIT-Verlag erschien, beschreibt die Salzburgerin auf der Basis einer umfangreichen Quellenanalyse detail- und kenntnisreich die faktischen Gegebenheiten, vor allem aber – und das ist entscheidend – wie die Menschen damals mit der Katastrophe umgingen. Die heuristische Trias der katastrophenhistorischen Forschung (Wahrnehmung, Deutung, Bewältigung) bildet als Hintergrund die Folie, vor der das untersuchte Material beleuchtet wird. Die Quellen, darunter viele, die erstmals analysiert werden, sind ihrer Textgattung nach einerseits objektiv-deskriptiv (Chroniken, Rechnungsbücher, Sterbelisten), andererseits subjektiv-appellativ (Tagebücher, Zeitungsartikel, Flugblätter). Zudem zieht Hauer reichlich Bildmaterial heran.
Ganz ohne naturwissenschaftliche Befunde kommt auch die Historikerin nicht aus, wenn es um die Rekonstruktion der Bergstürze geht. Doch der Hauptanteil ihrer Arbeit besteht in der Analyse der ausgewählten Texte, die verraten, wie Salzburg und Plurs ihr Trauma des „plötzlichen Todes“ wahrnahmen und vor allem, wie sie es deuteten. Hauer arbeitet heraus, dass „alle Quellen, die sich dem Deutungsaspekt widmen, einen Bezug zu Gott ausweisen“ (S. 114). Dabei stürzt der Glaube nicht etwa mit dem Berg in eine Krise, sondern der Sturz des Berges wird zum Anlass, ihn, den Glauben, zu vertiefen, denn, so die zeitgenössische Interpretation, in der Katastrophe ist verborgen, was als „symbolische Bedeutung“ angesehen werden kann: ein Weckruf Gottes für den Menschen, der sich von ihm entfernt.
Das kann kaum überraschen, werden in der Frühen Neuzeit – mindestens bis zum Erdbeben von Lissabon (1755), aber partiell auch dort – religiöse Deutungsmuster herangezogen, um das Unerklärbare zu erklären. Naturkatastrophen gelten geradezu als Bindeglied zwischen strafendem Gott und sündigem Menschen. Das malum physicum tritt als Konsequenz des malum morale in Erscheinung – eine Auffassung, über die wir heute als „aufgeklärte“ Menschen eines wissenschaftlich-technischen Zeitalters einerseits erhaben sind, die sich aber andererseits im Zuge drohender Klima-Katastrophen neuartig aktualisiert.
Überraschend ist hingegen Hauers Befund, dass die berühmte Präventionsmaßnahme, die Einrichtung der Salzburger „Bergputzer“, nicht unmittelbar nach der Katastrophe von 1669 ergriffen wurde, sondern erst rund 100 Jahre später nach weiteren Steinschlägen geringeren Ausmaßes. Offenbar braucht der Mensch mehr als einen Weckruf.
Katrin Hauer schreibt einen gut lesbaren und für eine wissenschaftliche Abhandlung verhältnismäßig unterhaltsamen Stil. Auch formal ist das Buch sehr gelungen. Die rund 50 Abbildungen haben eine sehr gute Qualität, die Druck-Type ist angenehm zu lesen und mit dem wissenschaftlichen Apparat wird in sinnvoller Weise umgegangen. Der umfangreiche Anhang bietet eine wertvolle Dokumentation zu den Bergstürzen. Empfehlenswert – nicht nur für Salzburger und Plurser.
Bibliographische Daten:
Katrin Hauer: Der plötzliche Tod: Bergstürze in Salzburg und Plurs kulturhistorisch betrachtet (=Kulturwissenschaft, Bd. 23)
Wien: LIT-Verlag (2009)
ISBN-10: 3643500394
ISBN-13: 978-3643500397
240 Seiten, EUR 19,90
Josef Bordat
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