Freitag, 11.12.2009 | 12:46 Uhr

Autor: hedoniker

Tot über einem Zaun im Kosovo. Harry Rowohlt: „Gottes Segen und Rot Front“

Rowohlt CoverHarry Rowohlt ist ein Phänomen in der deutschsprachigen Literaturlandschaft. Er könnte das Telefonbuch von Wanne-Eickel als Hörbuch einspielen und es würde ein Erfolg. „Übersetzt von Harry Rowohlt“ ist ebenso zu einem Prädikat geworden wie seine Lesungen legendär sind. Reich würde er, bekäme er jedes Mal 5 EUR, wenn er die Frage beantworten soll, ob er etwas mit dem Rowohlt Verlag zu tun habe. Seine Kolumnen „Pooh’s Corner“ vermisste man in der „Zeit“ so schmerzlich, dass sie wieder eingeführt wurden und den Lindenstraßenpenner Harry spielt er auch. Einzigartig auch seine Briefe. Schier unermüdlich beantwortet Rowohlt jeden ihn erreichenden Brief. In „Gottes Segen und Rot Front“ ist eine Auswahl der besten Briefe aus den Jahren 2005-2009 versammelt. Die Briefe sind liebevoll, spöttisch, gallig, freundlich, klug – immer aber wortgewandt. Diplomatie und Heuchelei liegen ihm nicht und so antwortet auf die Bitte, Wahlkampfunterstützung für die Grünen zu leisten: „Lieber hänge ich tot über einem Zaun im Kosovo, als dass ich auch nur eine Sekunde lang die Grünen unterstütze.“ Er schreibt Daniel Kehlmann, der einer seiner Übersetzungen eine „gewollte Flapsigkeit“ unterstellte und stellt klar, dass es sich um Flapsigkeit, mitnichten aber um „gewollte“ handelt und fügt dem Brief ein PS an. „(weil ich sonst geplatzt wäre): Ich hatte auch schon mal zwei Bestseller, die es aber beide nicht in den Spiegel geschafft haben, weil sie weder Belletristik noch Sachbuch waren.“ Kehlmann entschuldigt sich dann auch brav. Inge Jens vermutet in einem Antwortbrief, dass Rowohlts positive Erinnerung an sie und ihren, mittlerweile an Demenz erkrankten, Mann durch die vergangene Zeit verklärt wurde, er schreibt: „ […] wenn Sie meinen, meine Erinnerung an Sie beide wäre einen Tick zu schmeichelhaft, nützt Ihnen das gar nichts, sind es doch meine ureigensten, unkorrigierbaren Erinnerungen, in die ich mir von derart Betroffenen nicht hineinpfuschen lasse.“ Die Aneinanderreihung der unterschiedlichen Adressaten und der damit verbundene permanente Wechsel des Tonfalls der Briefe machen den speziellen Reiz dieses Bandes aus. Der Korrespondenz mit Roger Boylan folgt ein Brief an einen Unbekannten, der Harry Rowohlt um 10.000 EUR anpumpen will, eine Antwort bekommen beide. Jeder die Antwort, die er verdient.

Harry Rowohlt: „Gottes Segen und Rot Front“ ist bei Kein & Aber erschienen.

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Ein Kommentar

  1. Toner Versand Says:

    Wirklich ein spannendes Buch – jeder Brief ist irgendwie anders, gemein, freundlich, aufmunternd – aber immer ein Harry Rowohlt.

    Und die Feststellung mit dem Telefonbuch stimmt wohl leider wirklich!
    Schöne Seite.

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