Donnerstag, 11.10.2012 | 12:34 Uhr
Autor: Chris Inken Soppa
Das Schah-Regime liegt in den letzten Zügen und ein junger Mann aus einfachen Verhältnissen möchte Geistlicher werden – zunächst gegen den Willen seiner Familie. Sein Hang zur Theologie, zur Philosophie und zum abstrakten Denken, seine brennende Liebe zu Gott – all dies, scheint es, wird ihn zum Mullah befähigen. Der Schah wird vertrieben, die Geistlichen übernehmen die Vorherrschaft im Iran. Der junge Mann blickt hinter die Kulissen der neuen herrschenden Schicht – und was er da entdecken muss, lässt sich immer weniger mit den Idealen seiner Jugend vereinbaren. Er entfremdet sich von seiner bedauernswerten ersten Frau, die einer revolutionsnahen Familie entstammt. Gleichgesinnte und Freunde verschwinden nach und nach. Diskurse mit anderen Geistlichen, an denen er zu Beginn seiner Studien so große Freude hatte, werden immer enger, Logik weicht dem Fundamentalismus, Philosophie der Theologie, Argumente werden durch Phrasen ersetzt. Zudem stört ihn die doppelmoralische Lebensweise der postrevolutionären Mullahs, die – entgegen der Lehren des Islam – das einfache Volk nicht ehren und beschützen, sondern es verachten und ausbeuten. Einziger Seelenverwandter des jungen Mannes bleibt ein unbekannter Buchhändler.
Für Iranunkundige wie mich ist Hajatpours Buch das perfekte Gegenstück zu Marjane Satrapis graphic novel „Persepolis“. Über das Leben vor und nach der iranischen Revolution schreibt Satrapi aus der Forrest Gumpschen Perspektive eines privilegierten Kindes linker Intellektueller. Phrasen und Ideologien entlarvt sie mit naiver Intelligenz und führt sie so ad absurdum. Hajatpour hingegen müht sich redlich, die Unvereinbarkeiten zwischen Predigen und Handeln der neuen Herrschenden (zu denen er ja selbst zählt) miteinander zu versöhnen, zweifelt an sich und seinem Weg und merkt schließlich selbst, wie betörend es ist, Macht über andere zu gewinnen. Als guter Redner, dem Menschen gerne zuhören, wird auch er zunehmend narzisstischer und muss schließlich feststellen, dass er sich seinen eigenen Idealen entfremdet hat. Er versucht, zu seiner ursprünglichen Ehrlichkeit und Authentizität zurückzufinden, stößt damit bei Geistlichen und Revolutionswächtern auf grimmige Ablehnung und gerät in große Gefahr …
Das Buch liefert eine perfekte Insider-Perspektive auf die herrschende Geistlichkeit im Iran, wobei Hajatpour auch mit sich selbst schonungslos ins Gericht geht. Unbedingt lesenswert. Eine kleine praktische Anmerkung noch: Als Leserin hätte mir ein Glossar gutgetan, in dem einzelne Begriffe wie „Ayatollah“ oder „der verborgene Imam“ o.ä. während der Lektüre nachgeschlagen werden können.
Tags: iran
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