Donnerstag, 10.09.2015 | 22:14 Uhr
Autor: rwmoos
Mutige Mütter & Törichte Töchter
Als Mutter, die, wie man unten sehen wird, hervorragende Erziehungsarbeit geleistet hat, ist es Mary Kubica gelungen, auch die Gefühlswelten der unbefriedigten respektive unbefriedigenden Mutterfigur ihres Romans „The Good Girl“ in einer vollkommenen Widersprüchlichkeit abzubilden.
Doch die ersten Pluspunkte gibt es zweifellos für die originelle Herangehensweise. Die jeweiligen Kapitel in ein „vorher“ und „nachher“ zu gliedern und gleichzeitig so zu untertiteln, wobei eine gefühlte Ewigkeit unklar bleibt, was denn das eigentliche, den Bezugspunkt fixierende, Ereignis sei, ist ein bislang ungesehener Stil. Dasselbe dann noch damit zu mixen, dass die Hauptüberschrift der jeweiligen Kapitel den Namen des jeweils subjektiv erzählenden Protagonisten trägt, wird als weitere Originalität goutiert.
So entsteht ein vielschichtiger Roman, der aus den wechselnden Sichtweisen sowie der nicht unwichtige Amnesie einer der tragenden Figuren seine Spannung bezieht. Besagte Amnesie resultiert aus einer Posttraumatischen Belastungsstörung (posttraumatic stress disorder – PTSD). Warum dieser allseits bekannte Fachbegriff in der deutschen Übersetzung mit „Akute Belastungsreaktion“ wiedergegeben wird, befremdet allerdings ein wenig.
Von der klugen Gesamtanlage beeindruckt, erwartet der Leser nun eine angemessen vielschichtige Charaktermischung. Leider vergebens: In der romanischen Realität bleiben die Figuren blass und vorhersagbar. Der andernorts gelobte psychologische Tiefgang ähnelt eher dem eines aufgeblasenen Schlauchboots. So ist denn auch der erste Satz dieser Rezension zu lesen.
Hätte meine Frau mich nicht mit dem Hinweis auf ein unerwartetes Ende bei der Stange gehalten, hätte ich mir die langatmigen Passagen über die Flachheiten amerikanischer Wohlstandsfamilie, antagonistisch ergänzt mit den ebenso eben angelegten Underdog-Biografien, wirklich nicht angetan. Zwei zeitig eingestreute Hinweise ließen neben dem Originaltitel zudem auch das allerorts als überraschend angepriesene Ende erahnen. Leider lässt sich wiederum mit diesem endlich erreichtem „Ende“ zu viel aus dem vorher Geschriebenen nicht schlüssig erklären, so dass statt des erhellenden Aha-Effekts im Nachgang diverse Ungereimtheiten einer nun nicht mehr erfolgenden Lösung harren. Um nur eine davon zu nennen: Der hier hergestellte Zusammenhang zwischen Erpressung durch belastende Dokumente und Lösegeldforderungen stellt die Logik auf eine allzu harte Probe.
Was bleibt nach einem durchlesenen Nachmittag auf der Haben-Seite?
a) Das gute Wetter am Badesee, an dessen Ufern ich den Großteil des Buches geschafft habe,
b) das Gefühl, sämtliche Gedankenstränge einmal so richtig auf „anspruchslos“ heruntergefahren und damit den Ansprüchen an einen geratenen Urlaubstag Genüge getan zu haben und
c) ein Buch, das man ohne Gewissen weiter verschenken kann.
In der Danksagung erwähnt die Autorin ihre eigenen Kinder, die der „Mommy“ offenbar nicht zugetraut hatten, einen richtigen Roman schreiben zu können. Das veranlasst schließlich zu der bereits eingangs angezeigten Gratulation: Mommy Kubica gebührt zweifelsohne der Ruhm, bei der Erziehung ihrer Kinder diese mit sicheren Instinkten ausgestattet zu haben.
Gesamturteil: Kann man schon mal weglesen.
Reinhard W. Moosdorf
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