Freitag, 16.01.2015 | 10:09 Uhr
Autor: Andreas Schröter
Bei Ian McEwan ist es egal, über was er schreibt, gut ist es – fast – immer. Das Wörtchen „fast“ bezieht sich auf seinen vorigen Roman „Honig“ (2013), von dem einige Kritiker sagen, dass er etwas schwächer ist, als seine übrigen Werke. Sollte das stimmen, so hat der 1948 geborene Brite diese Schwäche spätestens mit seinem neuesten Roman „Kindeswohl“ überwunden.
McEwan schlüpft diesmal in den Kopf einer Familienrichterin am High Court in London. Sie muss nicht nur den Seitensprung und den Auszug ihres Mannes verdauen, sondern steht auch beruflich vor einer schwierigen Entscheidung. Ein 17-Jähriger, der an Leukämie erkrankt ist, braucht zum Überleben dringend eine Blutransfusion. Problem: Er und seine Eltern sind glühende Anhänger der Zeugen Jehovas, und die lehnen Bluttransfusionen grundsätzlich ab. In einer Gerichtsverhandlung stehen sich die Vertreter des behandelnden Krankenhauses und die Anwälte der Eltern gegenüber.
Fiona Maye, so heißt die Richterin, tut für ihre Urteilsfindung etwas Ungewöhnliches: Sie will nicht nur Informationen aus zweiter Hand, sondern unterbricht die Verhandlung, um den ungewöhnlichen Jungen selbst im Krankenhaus zu besuchen. Zwischen beiden entwickelt sich eine eigenartige Beziehung…
Erstaunlich an den Werken Ian McEwans ist immer wieder, wie glaubwürdig und psychologisch genau er die Gedanken der unterschiedlichsten Figuren wiedergeben kann. Man meint, nach der Lektüre sowohl die Richterin als auch den Jungen wie langjährige Bekannte genau zu kennen.
Wohltuend ist die Straffheit dieses Romans. Da steht kein Wörtchen zu viel. Und doch hat der Leser nach knappen 224 Seiten jede Menge, über das es sich nachzudenken lohnt.
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Ian McEwan: Kindeswohl.
Diogenes, Januar 2015.
224 Seiten, gebundene Ausgabe, 21,90 Euro.
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