Freitag, 11.03.2016 | 11:11 Uhr

Autor: rwmoos

Andreas Hultberg: Der Tod vergisst nie

Der Tod vergisst nie

Thüringer Niederungen

In einem Erfurter Architekturbüro findet die Angestellte Angelika Schröder am Montag Morgen drei Leichen vor: Ihren Boss, dessen Geliebte und zwei weibliche Angestellte. Um die hier aufkommende arithmetische Frage gleich zu beantworten: Natürlich war eine der Angestellten im Nebenberuf die Geliebte vom Chef.
Übrig bleiben: Ein ewig nicht zu erreichender Kompagnon, ein längst heraus geekelter dritter Teilhaber, eine hasserfüllte Ehefrau, zwei weitere weibliche Angestellte, die sich gegenseitig bezichtigen, ebenfalls auf den wohl betuchten Chef scharf gewesen zu sein und ein stark verärgerter Kunde. Eigentlich genug potentielle Verdächtige, zu denen trotzdem im Laufe der Ermittlungen noch weitere stoßen.
Das Ermittler-Team um die beiden Protagonisten Linda Bredow und Christoph Zeller, die, einander in Hassliebe verbunden, ein – so wird immer wieder betont – hervorragendes Gespann abgeben, macht sich an die Arbeit.
Die wird schwierig. Aber das stand ja zu erwarten.

Zunächst das, worauf es bei einem Krimi ankommt: Man kann das Buch in einem Zug durchlesen. Es fängt gut an und bleibt spannend. Wenngleich der geübte Krimi-Leser beizeiten ahnt, worauf der Hase hinaus läuft, legt die Erzählweise von Andreas Hultberg genug andere Spuren, um die Lösung hinauszuzögern, wobei er, die Ahnung des Lesers ausnutzend, dann geschickt zwischen den beiden klassischen Erzählformen, dem „Whodunit“ und dem „Howcatchem“ changiert.
Dabei nutzt er zwischendurch noch die „inneren Monologe“ der gejagten Person zu einer, sicher ausbaufähig gewesenen, subjektiven Gesellschaftsanfrage.
Allein diese Methodik ist schön.

Ein wenig blass bleiben dagegen die Charakter-Zeichnungen: Stress, Frust und Beziehungsprobleme werden von allen Beteiligten stereotyp mit Alkohol und Nikotin angegangen – das Sujet kennt man und es wirkt ausgelutscht. Dass zudem die diversen Charaktere gleichlautende Redewendungen verwenden („Hundert Punkte für den Kandidaten“ etc.) ähnelt die Rollen einander weiter an. Der gelegentlich anklingende Sprachwitz vergeigt seine Chancen in Kalauern. Randpersonen, die das Zeug hätten, interessant zu werden, wie die Pathologin oder das letzte Ziel des Täters, werden nicht weiter ausgeführt.

Wenn zudem inhaltliche Unstimmigkeiten auftreten, kann man das zwar dem Autor durchgehen lassen, dafür ist umso mehr das Lektoriat zu tadeln. So beginnt der Roman auf Seite fünf am Abend und wird dann ohne Bruch auf Seite sieben in den frühen Nachmittag überführt. Da hat man dann schon auf Seite acht ein Gefühl eines virtuellen Jetlags.

Das die Angestellte, die die Leichen gefunden hat, in den fürderhinnigen Ermittlungen nicht einmal mehr nach ihrer Meinung befragt wird, stimmt den mit-ermittelnden Leser nachdenklich.
Den dicksten Bolzen aber schießt doch der Verfasser der Zusammenfassung auf der Buch-Rückseite ab. Da werden Erfurt und Umgebung kurzerhand nach Sachsen verlegt. Der Rezensent empfiehlt die Anschaffung eines Schulatlases. Und:
Auch wenn es derzeit einigen so scheinen mag: Nicht alles Böse kommt aus Sachsen.

Natürlich erwartet man von einem Krimi nicht unbedingt literarische Klasse. In einem Punkt aber reicht dieser Roman über das Tagesgeschäft hinaus und kreiert eine eigene Pointe:
Die ganze Zeit über plagt man sich während der Lektüre nämlich mit dem unguten Gefühl, dass der männliche Protagonist eigentlich lauter Mist baut, und so gar nicht in das Schema des „genialen Ermittlers“ passt – ein Etikett, das ihm von seiner Umgebung immer wieder angeheftet wird. Er schließt Verdächtige vorschnell aus, ändert ständig seine Theorien, die er dann ebenso voreilig und total wieder verwirft, macht schlichte handwerkliche Fehler und wechselt Anflüge moralischer Integrität mit dem genauen Gegenteil im Tagesrhythmus.
Am Schluss aber merkt man: Das ist genau so gewollt. Er ist eben kein genialer Ermittler, sondern bestenfalls kriminalistischer Durchschnitt. Alles andere war mehr oder minder erfolgreicher Selbstbetrug. Dieser Betrug wird dann am Ende ungerüttelt von der Kollegin übernommen, indem sie seine Schwächen kurzerhand weg-erklärt. Wie hieß es doch so schön bei Marx? Der Schein trübt das Bewusstsein. Oder so ähnlich.

Reinhard W. Moosdorf

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