Mittwoch, 23.02.2011 | 11:11 Uhr
Autor: Stefan Blanz
Immer häufiger werden traditionelle Quellen der Spiritualität neu übersetzt, veröffentlicht und in Reihen herausgegeben. Einen solchen Weg beschreitet jetzt auch der Vier Türme Verlag der Abtei Münsterschwarzach, die sich seit Jahrzehnten im Verbund mit anderen Benediktinerklöstern um den Erhalt und die Forsetzung monastischer Lehren und Lebensweisen bemüht. Die neue Reihe Quellen der Spiritualität mit dem Antirrhetikos zu eröffnen, verrät bereits etwas vom Konzept. In Zeiten pluralistischer Orientierungslosigkeit und dem Hunger nach praktischer, geistlicher Lebenshilfe sind auch (die Schriften von) Eremiten gefragt, schließlich erhofft man sich von solchen Persönlichkeiten die ersehnte Führung durch die Höhen und vor allem die Tiefen des Lebens. Die Mönchsväter der nahöstlichen Wüsten des 4. Jahrhundert waren die ersten christlichen Mönche überhaupt und suchten durch die größtmögliche Distanz zur Welt eine größtmögliche Nähe zu Gott. Kraft ihrer Rolle in der Gemeinschaft waren sie aber keine zurückgezogenen Schrate, sondern Beter zu Gott und Berater für Menschen. Nicht nur in der Überlieferung ihrer Zeugnisse, sondern auch in der Lebensform sind es die Anachoreten genannten bis heute. Einer dieser Wüstenväter ist Evagrius Pontikus, der als der Begründer des philosophisch-christlichen Schreibens gilt. Viele seiner Werke sind zwar nicht im Original, aber in syrischen Abschriften und altgriechischen Übertragungen erhalten und hinterlassen uns in Theorie und Praxis Anleitungen zum christlichen Leben. Er entwickelte die Acht-Laster-Lehre (der schlechten Gedanken, Leidenschaften oder Dämonen), die uns Allzumenschliche im Kampf gegen das Böse und für die Entwicklung des Guten des Evangeliums stärken soll. Die jetzt ertmals in vollständiger deutscher Übersetzung neu vorgelegte große Widerrede bildet dabei eine Art Selbstverteidigungskurs gegen negatives Denken in unseren Seelenströmungen (während der bekanntere Praktikos die Theorie der acht Laster Völlerei, Unzucht, Habsucht, Traurigkeit, Zorn, Trägheit, Ruhmsucht und Stolz entfaltet). Das Werk versucht dabei, den Leidenschaften in uns Worte der Bibel entgegenzustellen. Zum Beispiel wird der Gedanke, „der zur Zeit der Ernte uns die Begierde nach neuen Speisen einflößt“ abgewehrt mit: „Jeder Wettkämpfer übt Enthaltsamkeit, um einen vergänglichen Kranz zu erlangen; wir aber laufen, um einen unvergänglichen Kranz zu erlangen.“ (1 Kor 9,25). Dieser unvergängliche, geistliche Kranz der Seele ist nach Evagrios neben der für Christen konstitutiven Glaube an das ewige Leben die Erlangung der Apatheia, der leidenschaftslosen Gelassenheit. Dieses Buch ist offensichtlich nichts für Konsumisten, Sentimentale, Esoteriker oder Bigotte, sondern es gibt dem Leser eine Ahnung von der Strenge frühchristlicher Lebensformen. Auch wenn die traditionelle Verwendung von Begriffen wie Leidenschaft oder Unlust einen heute häufig diametral entgegengesetzten Wortgebrauch darstellt, bietet die kurzprosaische Form der großen Widerrede einen sprachlich einfachen Einstieg in die Spiritualität des monastischen Christentums und in die Bibel selbst, die durch diese alltagstaugliche Ausdeutung eine praktische Nähe bekommt. Vorsichtshalber sei aber auch darauf hingewiesen, dass Nachahmer aufgefordert sind, keine übermütigen und übermäßigen Alleingänge zu wagen.
Evagrius Ponticus: Die große Widerrede. Antirrhetikos, übers. von Leo Trunk OSB, Münsterschwarzach 2010, (Quellen der Spiritualität Bd. 1), 176 S., geb., 19,90 €. ISBN 978-3896807014
Tags: Bibel, Lebenshilfe, Mönchtum, Spiritualität
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