Freitag, 31.01.2014 | 17:57 Uhr
Autor: Frank Berno Timm
Ist noch etwas über Max Frisch zu sagen? Oder von ihm zu lesen? Ja: Gefühlte zwei Jahrzehnte nach seinem Tod hat Suhrkamp Teile seines „Berliner Journals“ herausgebracht. Verzichtet wurde auf Abschnitte, die persönlichkeitsrechtlich knifflig waren. Wer sich mit dem Werk des Schweizer Romanciers und Theaterautors auseinandergesetzt hat weiß, dass er immer wieder Tagebuch führte: Schon sein Tagebuch 1946 -49 ist ein Meisterstück, weil es auf sehr lebendige Weise die „kleine“ Form zeigt und – das muss erstmal einer nachmachen – Skizzen und Szenen enthält, die sich im späteren Werk des Autoren wiederfanden.
Und jetzt? Frisch‘ Aufzeichnungen führen uns zurück in die Anfangszeit deutsch-deutscher Entspannungspolitik. Anfang der siebziger Jahre kauft er mit seiner damaligen Frau Marianne in Berlin-Friedenau eine Wohnung, die er 1973 übernimmt. Richtig: Günter Grass und Uwe Johnson lebten damals auch dort, Freunde also, auf jeden Fall Kollegen.
Im Lesen wird nachvollziehbar, wie Frisch das geteilte Berlin für sich in Besitz nimmt, Kontakte knüpft, Freundschaften pflegt. Berührend ist, wie selbstkritisch der „Großschriftsteller“ mit sich selbst ins Gericht geht: Ihn erschrecken die hohen Auflagen seiner frühen Werke, er registriert ein ums andere Mal, das er keinen Plan für seine Arbeit hat, beklagt die scheinbare Flachheit dessen, was er schreibt oder geschrieben hat. Und nimmt wahr, dass er älter wird – ein Thema, mit dem er sich sehr schonungslos auseinandergesetzt hat.
Freundschaft bedeutete offensichtlich für Frisch durchaus etwas anderes als platte Kumpelhaftigkeit. Die öffentliche Präsenz von Günter Grass sieht er sehr kritisch. Er registriert aufmerksam die sehr eigene Art von Uwe Johnson, Freundschaft zu pflegen: Jener blieb standhaft beim „Sie“. Seine Porträts von Jureck Becker, Wolf Biermann („eine geschichtliche Figur heute und hier“), Günter Kunert, Hans-Magnus Enzensberger (er sei ein angenehmer Mensch, der sich selber nichts nachtrage), von Gerhard und Christa Wolf lesen sich samt und sonders spannend. Sehr penibel beschreibt Frisch seine Gespräche mit dem damaligen Ostberliner Verlag Volk und Welt; berichtet von einer Lesung, die er selbst anregte. Was bei Frisch über die DDR zu lesen ist, entbehrt jeder Verurteilung – Begriffe wie „Unrechtsstaat“ sind ihm offenkundig fremd – er will vor allem verstehen.
„Ich weiß jetzt, dass ich nicht schreibe, weil ich anderen irgendetwas zu sagen habe. Meistens weckt mich der Fluglärm um sieben Uhr, spätestens um acht Uhr stehe ich zur Verfügung, gewaschen, gekleidet, ausgestattet mit der ersten Pfeife. Ich schreibe, um zu arbeiten. Ich arbeite, um zuhause zu sein.“ (S. 40)Das ist nur eine der literarischen bzw. beruflichen Motivationen, von denen Frisch schreibt. Ihm ist sehr wohl bewußt, dass er in der Schweiz eine öffentliche Person ist – seine Rede über die Heimat, die er dort hält und deren Reaktionen er von Berlin aus verfolgt, bleibt offensichtlich nicht ohne Reaktionen. Und Frisch nimmt sehr wohl war, dass sich seine Schreibhaltung in dem Moment, als er anfängt, die Blätter des Journals zu sammeln, ändert.
Kehren wir noch einen Moment zu dem Ort zurück, in dem diese Zeilen entstanden sind. Auffällig ist die Sachlichkeit, mit der Frisch die Merkwürdigkeiten der deutschen Teilung vermerkt. Grenzkontrollen am Bahnhof Friedrichstraße und die vorherigen Abschiede hat der Autor dieser Rezension in ganz anderer, schmerzhafter Erinnerung. Frischs Haltung mag damit zusammenhängen, dass seine Ostberliner Bekannten und Kollegen ihn offensichtlich ohne Schwierigkeiten im Westen besuchen durften. Spurlos ist es doch nicht an ihm vorüber gegangen: In einer Passage „überträgt“ er die Teilung auf sein Zürich, beschreibt penibel die Veränderungen und Absurditäten – ein tolles Stück, das übrigens in der Genauigkeit (und Richtigkeit) an Johnson erinnert.
Zuletzt: Das sehr kluge Nachwort und der gründliche Bericht der Herausgabe (u.a. wird erklärt, dass Frisch diese für die ersten 20 Jahre nach seinem Tod untersagt hatte) ergänzen diesen spannenden, wichtigen Band. Und die Texte stellen eine Verbindung zu zwei anderen wichtigen Werken her: die Erzählung „der Mensch erscheint im Holozän“und die schöne, immer noch sehr lesenswerte „Montauk“-Geschichte. Beide sind in unmittelbarer zeitlicher Nähe entstanden, Frühfassungen der Holozän-Geschichte sogar in Berlin.
Für jeden, der sich – als Schreibender oder Lesender – mit Literatur befasst, ist dieses Buch eine Bereicherung. Gewiss, es ist „nur“ ein Tagebuch, ein Journal: aber ein Anfang, an den sich viele Fäden knüpfen, ist es allemal.
Max Frisch, Aus dem Berliner Journal, Suhrkamp
Tags: Christa Wolf, Jurek Becker, Max Frisch, Uwe Johnson
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