Sonntag, 16.07.2006 | 12:51 Uhr

Autor: andreaffm

Der Bewerb, die Autorin, ihr Text und seine Rezeption

Normalerweise ist das so: Irgendwer bekommt den Bachmannpreis, alle sagen mal Ihre Meinung dazu, dann ist Schweigegebot, dann wird der Gewinner mindestens ein halbes Jahr nicht erwähnt. Zur Buchmesse gibt’s dann nochmal ein paar Rezensionen, wenn das Werk erschienen ist, danach ist Totenstille. Wie gesagt, normalerweise.

Das nächste große Ding. Kolumnensammlung
Dieses Mal ist es anders, und das liegt an der Person der Gewinnerin Kathrin Passig und ihrem Umfeld. Das liegt daran, daß sie kein Schreibschul-Wunderkind mit lauter fragmentierten Empfindungen ist, die sie hinlänglich metaphernreich aufschreiben kann. Das liegt daran, daß Frau Passig aus dem Internet kommt und noch nie Prosa geschrieben hat, zumindest geht so die Legende. „Niemand kannte bis dahin Kathrin Passig als Belletristin, noch nicht einmal sie sich selbst“, faßt Andreas Isenschmidt die Lage der literarischen Nation zusammen.

Mit solch einer Legende hätte man sich in den Vorjahren nichtmal tot erwischen lassen. Bisher hatten sich ja alle Legenden zugelegt, die besagen, daß sie schon immer schreiben oder mindestens seit einem traumatischen Erlebnis. Die ohne Schreiben gar nicht leben können. Für die Schreiben sowas wie atmen ist. Die eben diese klassische Künstler-Genie-Schublade bedienen, an die wir uns mittlerweile so sehr gewöhnt haben, daß wir das für normal, ja: unabdingbar halten.

Kathrin Passig verweigert sich diesem Bild vollständig. Ihr Dasein ist nicht das einer Vollblutautorin, eher das einer Autorin auf Probe, ihr Schreiben ist kein Kunstschaffen, nicht so jedenfalls, wie man sich das immer vorstellt: „Stellenweise ging’s ganz gut. Ein paar Absätze waren schnell fertig. Aber der Rest … Wenn ich nicht so gern nach Klagenfurt gewollt hätte und es da nicht so einen klaren Abgabetermin gegeben hätte, hätte ich das nicht zu Ende gebracht“, erzählt sie Elmar Krekeler im Interview, und der staunt nicht schlecht über die Nonchalance seiner Gesprächspartnerin.

Immerhin gibt sie auf Nachfrage zu, doch über sowas ähnliches wie ein romantisches Dichter-Ich zu verfügen: „Das Dichter-Ich… Literatur entsteht automatisch aus der Person des Autors, dagegen kann man nichts machen. Egal, ob man nun für die Miete schreibt oder aus dem dringenden Bedürfnis heraus, sein Herz auszuschütten. Das macht für den Text doch keinen Unterschied.“ Vielleicht nicht für den Text, für viele Rezipienten aber schon, die hinter einem Kunstwerk gefälligst auch ein authentisches Künstlerindividuum wahrnehmen möchten. Der Autor zum Buch, das Buch zum Autor, das muß passen, das muß eins sein.

Besonders Jana Hensel in der Zeit tut sich als vehemente Passig-Kritikerin hervor und wirft ihr eine Menge vor: „Eine Fingerübung, nichts weiter als eine Schreibkurs-Arbeit“ sei das, „der Text hat keine Relevanz, er ist eine intellektuelle Spielerei und kam nur deswegen an, weil er witzig ist“ und außerdem habe Passig „keine Autorenstimme“, im Gegensatz zu Clemens Meyer: „Meyer ist ein Ausnahmetalent. Sein Text hat literarischen Odem, eine Aura. Und er kommt in der verlangten Kürze ins Erzählen.“

Odem und Aura lasse Passig vermissen, wie auch viele ihrer Kollegen und Kolleginnen: „Sie riskieren nichts, sondern erfinden stattdessen irgendwelche Geschichten, denken sich irgendeine Handlung aus. Und das in einem Wettbewerb, der den Namen von Ingeborg Bachmann trägt. Gerade sie hat sich doch mit ihrem ganzen Ich in den Text gestürzt.“

Da ist es wieder, das angemahnte Ich. Das Ich, das sich Risiken aussetzen muß, das etwas wagen soll, wie auch Jurorin Iris Radisch im Abschlußinterview einfordert. Das Ich, das nicht nur am Schreibtisch sitzt und Google konsultiert. Und wenn das Ich in Bibliotheken herumsitzt und alte Schwarten konsultiert, macht das dann einen Unterschied – und wenn ja, warum? Und wenn Passig nun von ihrem Fast-Erfrierungserlebnis in Kanada erzählt, gilt der Vorwurf dann immer noch? Oder haben wir es dann plötzlich mit einem ganz anderen Autoren-Ich zu tun? Und was sagt es über den Text, ob die Autorin das nun erlebt oder recherchiert hat?

Ist es nicht eher so, daß sich all diese Anwürfe auf allzu dünnem Eis befinden? Feuilleton-Vorwürfe, denen in der Literaturwissenschaft keine drei Minuten Lebensberechtigung zugestanden würde, die in den einschlägigen Tages- und Wochenblättern jedoch gehätschelt werden, als seien sie das Naheliegendste, was man so von Literatur einfordern kann: Odem. Aura. Ich. Nach der Zwischenprüfung sollte einem das eigentlich ausgetrieben worden sein, und man sollte einfach konsequent von „Geschmack“ reden und nicht so tun, als seien solche Vorlieben eine wie auch immer geartete literarische Kategorie, die man mit derart aufgeblasenen Begriffen belegen muß, um ihnen eine künstliche Allgemeingültigkeit zu verleihen.

Man muß nicht unbedingt einen Widergänger Berthold Brechts in Kathrin Passig sehen, um sich mit Eckhard Fuhr zu fragen: „Kann es wirklich sein, daß der Leser im Jahr 2006 noch Entzauberungsschmerzen fühlt, wenn sich herausstellt, daß der Autor eines Textes kein authentisches Ich, sondern eine Textwerkstatt ist?“

Tja. Scheint so.

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2 Kommentare

  1. dirk.schroeder Says:

    Der Geist des Feuilletons weiß durchaus, wo er weht. Die Literatur z.B. muss in Weihrauch verbucht werden. Produktkritiken, die Belehrung und Erbauung nach Nutzen für den Konsumenten befragen, wären vielleicht seriöser, versagten aber bei der Verteidigung von Buchpreisbindung, Literaturförderung usw. Die Entzauberung der Literatur wäre die Entzauberung eines Schonmarktes, die keiner will. Nicht Wissenschaft, Propaganda ist der Auftrag der Kritik. In diesem Auftrag wird von den Autoren vieles gefordert. Es tut aber nicht weh, denn niemand erwartet im Ernst die Erfüllung in den Werken. Schreiben soll jeder wie er will und kann. Nur die Selbstdarstellung nach außen muss stimmen. Die Abziehbilder aus der Schriftstellerei, die uns die TV-Homestorys zeigen. Mit dieser Konvention brach Kathrin Passig, nur mit dieser. Und befindet sich damit durchaus in angesehener Gesellschaft. Dass es nicht um den Text geht, zeigt ein Gegenbeispiel: Oskar Pastior, den ich sehr schätze, macht es umgekehrt, verletzt kein Dichterklischee, führt aber bei Lesungen das Auswürfeln der Gedichte vor. Kein Protestgeschrei erhebt sich, niemand sieht die Literatur gefoppt. Kalkulierte wie aleatorische Texte sind längst legitim. Der Verzicht auf die Poetenpose ist es (noch) nicht.

  2. hartzkind Says:

    Ganz schön popig, der Werbetext für das eingefrorene Heißluftgebläse…

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