Sonntag, 16.07.2006 | 13:36 Uhr
Autor: Christian Köllerer
Sprachkritik ist eine heikle Angelegenheit. Die Erfolge der Linguistik der letzten Jahrzehnte verdanken sich ihrem empirischen Ansatz: Der Sprachgebrauch wird untersucht, analysiert und beschrieben. Normatives Vorgehen wird mit guten Gründen schon aus methodischen Gründen zurückgewiesen.
Die Tätigkeit des Sprachkritikers, der Hohn und Spott über den vermeintlichen Verfall der Sprache ausschüttet, ist wissenschaftlich also nicht fundiert. Was heute den Unmut eines Sprachpolizisten auf sich zieht, kann zehn Jahre später anerkannte Sprachregel sein gegen deren Verstöße ein zukünftiger Kollege erneut tätig wird. Besonders offensichtlich ist dies bei der Kritik am Verwenden von „Fremdwörtern“. Heute richtet sich die Empörung auf Angliszismen. Vor hundert Jahren waren es Entlehnungen aus dem Französischen.
Bastian Sick bewegt sich mit seinem erhobenen Zeigefinger also auf gefährlichem Gelände. Trotzdem gelingen ihm eine Reihe von amüsanten Beobachtungen. Manche plausibel (der titelgebende Genitiv, gesteigerte Superlative), andere fragwürdig, etwa wenn er „Sinn machen“ als sachlich inadäquat kritisiert, so als sei eine platonische Sinnontologie eine Selbstverständlichkeit.
Mit flattr kann man Bloggern mit einem Klick Geld zukommen lassen. Infos
25.07.2006 um 16:47 Uhr
Ich habe das Buch gelesen, und stimme in vielen Punkten mit dem Beitrag überein. Manchmal lehrreich, manchmal sehr spitzfindig, aber trotzdem sehr amüsant und leicht geschrieben. Ein Buch für zwischendurch, im Wartezimmer oder im Zug.
26.07.2006 um 11:27 Uhr
Interessant wie rasch hier, in zwei Sätzen, der Sprachkritiker zum Sprachpolizisten umgewandelt wird. Aber sei’s drum, es ist ohnehin einiges durcheinander gekommen hier.
Denn: Linguistik hin oder her, wie käme die Sprache ohne Normen aus? Und woher wären diese denn zu beziehen,wenn nicht von Sprachkünstlern, Dichtern und Geistesmenschen?
Natürlich wirkt die Gosse an der Sprachgeschichte mit, manchmal sogar mit Witz und Erfolg, aber soll man sich deshalb an sie halten? Ihr grundsätzlich Geltung verschaffen in der Sprache, die noch zu etwas anderem gut ist als bloß zum small talk? Und zu dieser absurd verstandenen Gleichmacherdemokratie.
quenzel
31.07.2006 um 16:21 Uhr
Sicks Buch ist rein feuilletonistische Sprachkritik, unterhaltsam, aber seicht und Lichtjahre hinter dem aktuellen Stand der Linguistik und der (echten) Sprachkritik zurückgeblieben. Und was tummelt sich im Lesepublikum? Empörer, die auf die neue Rechtschreibung eindreschen, ohne die alte jemals beherrscht zu haben und die neuen Regeln gelesen geschweigedenn verstanden zu haben, Kulturpessimisten, die noch immer nicht verstehen wollen, dass es einen Unterschied zwischen Sprechen, Schreiben und Sprache gibt, aber immer noch schön stur den „Sprachverfall“ beklagen und Teenies, die nie einen halbwegs guten Deutschlehrer hatten und nun meinen, Sick gebe ihnen in seiner Nachhilfestunde die Absolution.
Hier sei nochmal das wirkliche Standardwerk zum Thema empfohlen:
Duden Band 9: Richtiges und gutes Deutsch. Wörterbuch der sprachlichen Zweifelsfälle