Freitag, 15.02.2008 | 15:01 Uhr

Autor: molosovsky

Das kontrafaktische, fabulatorische Preisausschreiben zu Thomas Pynchons »Gegen den Tag«

Am 01. Mai 2008 wird bei Rowohlt die deutsche Ausgabe von Thomas Pynchons neuestem Wahnwitz-Schmöker »Against the Day« (2006) auf Deutsch unter dem Titel »Gegen den Tag« erscheinen. — Nikolaus Stingl (Übersetzer von u.a.: John Irving, Cormac McCarthy, Neal Stephenson) und Dirk van Gunsteren (Übersetzer von u.a.: Philip Roth, T.C. Boyle, Jonathan Safran Foer, Oliver Sacks) haben den 1760 Seiten starken Roman übersetzt, und für mich steht jetzt schon fest: da kommt ein wahrhaft alle einfachen Rahmen sprengendes Prosaspektakel über uns.

Thomas Pynchon gilt ja als einer, der sich sich noch nie groß um die tradierten Grenzen zwischen hoher Kunst und niederen Popkulturgefilden gekümmert hat, und der deshalb wohl zurecht den unausgesprochenen Titel ›wildester Nobelpreis-Anwärter‹ verdient. — Zum ersten Mal hat der Autor er selbst einen orientierenden Klappentext verfasst, der in gekürzter Form auch verschiedentlich auf Deutsch vorliegt. Ich habe mir erlaubt, diesen ›Waschzettel‹ um die gekürzten Stellen (= blau) zu ergänzen.

»Gegen den Tag« umspannt den Zeitraum zwischen der Weltausstellung in Chicago 1893 und den Jahren kurz nach dem Ersten Weltkrieg und führt von den Arbeiterunruhen in Colorado über das New York der Jahrhundertwende, London und Göttingen, Venedig und Wien, den Balkan, Zentralasien, Sibirien zur Zeit des Tunguska-Ereignisses und Mexiko während der Revolution ins Paris der Nachkriegszeit, Hollywood während der Stummfilmära und an ein, zwei Orte, die auf keiner Landkarte zu finden sind.

Während sich die weltweite Katastrophe schon am Horizont abzeichnet, beherrschen hemmungslose kapitalistische Gier, falsche Religiosität, tiefe Geistlosigkeit und böse Absichten an hohen Stellen das Bild. Verbindungen zur Gegenwart sind weder beabsichtigt, noch sollten sie gezogen werden.

Das umfangreiche Figuren-Ensemble umfasst Anarchisten, Ballonfahrer, Spieler, Industriekapitäne, Drogenenthusiasten, Unschuldige und Dekandente, Mathematiker, verrückte Wissenschaftler, sowie Bühnenmagier, Spione, Detektive, Abenteurerinnen und gedungene Schützen. Es gibt Gastauftritte von Nikola Tesla, Bela Lugosi und Groucho Marx.

In einer Zeit, da eine Epoche der Sicherheit ihnen mit Getöse um die Ohren fliegt und eine unvorhersagbare Zukunft anhebt, versuchen diese Leute lediglich ihrem Leben zu folgen. Ab und zu bleiben sie am Ball; manchmal ist es ihr Leben, das sie verfolgt.

Derweil treibt der Autor sein übliches Spiel. Figuren unterbrechen ihr Tun, um größtenteils alberne Liedchen zu singen. Seltsame und abseitige Sexualpraktiken werden ausgeübt, obskure Sprachen gesprochen, und das nicht immer idiomatisch richtig. Kontrafaktische Ereignisse finden statt. Vielleicht ist dies nicht die Welt, aber mit ein, zwei kleinen Änderungen könnte sie es sein. Einigen zufolge ist dies eine der Hauptaufgaben von Fiktionen.

Die Leser mögen entscheiden, und Vorsicht walten lassen. Viel Glück. — T.P.


AUFGABE:
Es ist eine feine Sache, wenn Romane — also ausgedachte Geschichten die mitunter bestrebt sind, die ganze Welt und das menschliche Leben in toto in eine erzählende Form zu pressen — sich geflissentlich bemühen, als realistische Spiegel der Gegenwart bzw. der Vergangenheit und etwaiger Zukunft zu dienen. Doch in einer Zeit, in der die Grenzen zwischen Illusion und Wahrheit, zwischen Propaganda und Bescheuklapptheit durch den tobenden Informationskrieg durcheinander geraten sind, erscheint (mir zumindest) es für das packende Erzählen bisweilen angebracht, das allzu enge Beet des Tatsächlichen zu erweitern um die Gefilde des spekulativ Phantastischen. Das »Literaturwelt«-Blog und die »Molochronik« rufen daher alle mutigen Fabulierer auf, eine knappe jedoch möglichst tolldreiste Schau auf die Weltenläufte der Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft einzureichen.

Alles ist erlaubt! — Vermengt Faktisches mit Fiktiven, erfindet unmögliche, wundersame Gadgets und Monster, skizziert haarsträubende Intrigen und Konflike zwischen echten und erfundenden Fraktionen, schildert die Übergänge zwischen den Reichen des Tatsächlichen zum Unmöglichen.

EDIT-Ergänzung zur Art der einzureichenden Wettbewerbs-Beiträge:
Da alles erlaubt ist, gibt es keine bestimmten zu erfüllenden Kriterien, was für eine Art von Text eingereicht werden muss. Erlaubt ist also alles, was sich ausdenken und niederschreiben läßt, egal ob dabei ein Expose (für einen fiktiven Roman), ein Langgedicht, eine dramatische Szene, eine Kurzgeschichte herauskommt, oder noch exotischere Textsorten, wie z.B. Klappentexte einer (fiktiven) x-teiligen Serie, die Schaltplanskizze eines Möglichkeitsbaums eines Abenteurspielbuches, eine Auswahl von Einträgen eines fiktiven lexikalischen Werkes — wie gesagt: ALLES ist bei diesem Wettbewerb erlaubt.

MODALITÄTEN:
Mindestens zwei, maximal vier Din-A-4-Seiten (mindestens 4000 Zeichen, maximal 8000 zeichen inkl. Leer- & Satzzeichen.)

Einzureichen als PDF, als RTF oder als Text in einer eMail. Formatierungen sind erlaubt. Zur Sicherheit sollten jedoch fette Passagen mit _Unterstrich_, und kursive Passagen mit *Sternchen* markiert werden.

Text oder Text-datei per eMail einschicken an:

*molosovsky*@*yahoo*.de* (Sternchen weglassen)
Betreff: aktion GEGEN DEN TAG

Einsendeschluß ist der Tag des Erscheinens der deutschen Ausgabe, Donnerstag, der 01. Mai 2008.

Zu gewinnen gibt es eine englische US-Taschenbuchausgabe von »Against the Day«. — Zugegeben: das Exemplar krankt an einem leichten Knickschaden des vorderen Umschlages (wurde halt aus dem Ramsch gefischt), aber als Gutmachung für diesen Makel wird dem Exemplar eine von Molosovsky selbst erstellte Kapitel- und Abschnitt-Übersicht beigegeben, die zugleich als Lesezeichen dient

Vergesst nicht, Eure schneckenpostalische Adresse anzugeben, damit Euch (falls Ihr gewinnt) das Exemplar von »Against the Day« zugeschickt werden kann.

Als Jury fungiert Molosovsky selbst, der aus den eingesendeten Fabulations-Skizzen die ihm am besten gefallende küren wird. Die Teilnehmer stimmen mit dem Einsenden ihres Textes zu, dass ihr Text sowohl im »Literaturwelt«-Blog, als auch in der »Molochronik« veröffentlicht wird. Auf Wunsch des Gewinners kann sein Realweltname geheim bleiben und durch ein entsprechendes Pseudonym ersetzt werden. Und so die Musen mir hold sind, werde ich den Gewinnertext illustrieren und die Originalzeichnung ebenfalls als Preisgabe stiften.

Also auf auf, wagemutige Phantasten, an die Griffel und Tasterturen!
Hals und Beinbruch und viel Vergnügen wünscht
Alex / molosovsky

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5 Kommentare

  1. HolonBlog» Thomas Pynchon: Gegen den Tag Says:

    […] Literaturwelt-Blog gibt es ein Gewinnspiel und eine etwas erweiterte Fassung des Klappentextes zu […]

  2. agonie Says:

    hui, 8.000 zeichen sind ziemlich wenig für dieses thema

  3. molosovsky Says:

    Ach was. Erstens muntert die Begrenzung hoffentlich zu Ideen-Konzentraten an; und zweitens kann/soll/darf man ja auch wie gesagt mit der Ästhetik des Fragmentes, Entwurfes, Exposes spielen.

  4. molosovsky Says:

    So, der Gewinner steht fest. Das englische Exemplar von »Against the Day« geht an Simon Spiegel für seinen Beitrag »Es gilt zu erzählen«. Hier ein kleiner Trailer:

    Es gilt zu erzählen; — wenn nicht schon in diesem Satz die ganze Sinnlosigkeit meines Unternehmens offensichtlich würde. In diesen Worten einer toten Sprache. Einer Sprache, die nur noch in mir weiterlebt, und selbst ich spreche sie nicht, hüte mich davor, sie erklingen zu lassen, weil es mir lächerlich vorkommen würde, diese Worte, die heute nichts mehr bedeuten, auszusprechen, in einer Zeit, für die sie nicht gedacht sind, und sie so zu entweihen.

    Großartig finde ich auch den von David Ramirer eingereichten Text »regen am morgen«, auch hierzu ein kleiner Auszug:

    in der pubertät war es durchaus üblich, dass der neugeborene gottkaiser nichts anderes wollte als religionen zu gründen. jeden tag eine neue religion, mit allem was dazugehört. die bürger waren irritiert und verängstigt, weil es sehr schwierig war, die eigene wahrheitsempfindung täglich aufs neue auf die probe zu stellen. aus dem geblähten bauche des seltsamen wesens, das formlos im zentrum des audienzsaales herumkroch, streckten jeden tag etliche neue religionsauswüchse sich in den wabbernden raum rundum.

    Die beiden Texte werde ich in Bälde noch illustrieren und die Originalzeichnungen den Autoren zukommen lassen.

    Wer weiß, vielleicht kommt die nächste kreative Wettbewerbsaufgabe von mir schon früher, als wir alle (inkl. mir selbst) denken. Schöne Bücherpreise (Schnappchen aus Antiquariatsbeutezügen) habe ich hier en masse herumliegen.

  5. Revierflaneur » Blog Archiv » Donnerstag, 3. Juli 2008: Wälzer I Says:

    […] Tisch geschmettert hat, die mich aus sehr unterschiedlichen Gründen interessieren: Thomas Pynchons Gegen den Tag und Jonathan Littells Die Wohlgesinnten. Gemäß Vollmanns Wortzählung bringt es Pynchon auf […]

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