Donnerstag, 14.06.2012 | 14:36 Uhr
Autor: JosefBordat
Bilanz und Ausblick – 20 Jahre nach Rio ’92 beleuchtet ein Lagebericht des Worldwatch Institutes Wege in eine nachhaltige Zukunft. Und Irrwege.
Das Worldwatch Institute hat zwanzig Jahre nach der Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro eine Analyse mit dem Titel State of the World 2012. Moving Toward Sustainable Porsperity herausgegeben, deren deutsche Fassung von der Heinrich-Böll-Stiftung und Germanwatch besorgt wurde. Erschienen ist der Sammelband mit 18 Einzelbeiträgen im Münchner Oekom-Verlag. Den Bedarf für eine deutsche Ausgabe des Weltreports begründen Ralf Fücks (Heinrich-Böll-Stiftung) und Klaus Milke (Germanwatch) im Vorwort: Deutschland sei „besonders gefragt“, wenn es um die Initiierung zukunftsträchtiger Globalprozesse geht, also um die Ermöglichung ökonomischer und sozialer Teilhabe aller Menschen an den Erträgen der Erde, die Absenkung der Emissionen und des Ressourceneinsatzes und die Entkopplung von Wertschöpfung und Naturverbrauch. Daher ist es wohl grundsätzlich eine gute Entscheidung, die deutschsprachige Leserschaft eigens mit Informationen zu versorgen, die Wege zu diesen Zielen aufzeigen sollen.
Die verbindende Klammer der methodisch sehr unterschiedlichen (makroökonomischen, betriebswirtschaftlichen, ökologischen, soziologischen, entwicklungspolitischen) Annäherungen an die Globalprozesse ist der Begriff der Nachhaltigkeit. Es geht um eine ökonomisch wie ökologisch nachhaltige Zukunft, in der Wohlstand für alle möglich wird – bei Erhalt der Lebensgrundlage für alle, auch für alle, die noch kommen werden.
Vor allem die Beiträge im zweiten Teil des Bandes unterbreiten z.T. sehr konkrete Vorschläge, wie ein nachhaltiger Alltag in Zukunft gelingen könnte. Neben den gangbaren, zumindest diskutablen Wegen (energetisch sinnvolle Gebäudesanierung, Änderung des Konsumverhaltens, Stärkung demokratischer Beteiligungsstrukturen, Umstellung der landwirtschaftlichen Produktion, Veränderung von Ernährungsgewohnheiten) gilt es, vor überambitionierten Irrwegen zu warnen, etwa davor, die Bevölkerungsentwicklung anders als über die allgemeine Wohlstandsmehrung (die rückgekoppelt ist an den Anstieg des Bildungsniveaus und der politisch-rechtlichen Organisationsform) beeinflussen zu wollen, d.h. auch direkt über Verhütung oder „sichere“[sic!] Abtreibung, wie dies Robert Engelman, Präsident des Worldwatch Institutes, vorschlägt.
Nicht nur, dass diese technische Lösung die Ursache des Bevölkerungswachstums außer Acht lässt (nämlich den Wunsch, Kinder zu haben, auch als Garantie sozialer Sicherheit), nicht nur, dass sie ethisch äußerst bedenklich ist (auch wenn der Einsatz von Verhütungsmitteln und Abtreibungen „freiwillig“ bleiben und nicht – wie jüngst mal wieder in China – erzwungen werden soll), sondern vor allem ist an diesem Ansatz problematisch, dass damit jeder neugeborene Mensch als Teil eines großen Problems namens „Weltbevölkerung“ erscheint. Statt sich über den Nachwuchs freuen zu können, muss eine werdende Mutter künftig damit rechnen, eine gehörige Portion Moralin verabreicht zu bekommen. So wie Victoria Beckham, deren viertes Kind Anlass gab, dem Promi-Paar „Verantwortungslosigkeit“ vorzuwerfen, da sich ihre „carbon emissions“ um 100 Prozent erhöht hätten – schlicht „by having another child“. Es könnte mithin aus der Sorge um „Mutter Erde“ eine Mentalität erwachsen, die Menschen als „Schädlinge“ auffasst und Leben als „Schaden“, menschliches Leben.
Dabei ist längst klar, dass Armut und Umweltschäden in erster Linie eine Frage der Verteilung und des Lebensstils der Menschen sind, nicht aber ihrer Zahl. Wenn ein US-Amerikaner mit seinem Verhalten 20 Tonnen Kohlendioxid pro Jahr erzeugt und damit fünfmal so viel wie ein Mensch im benachbarten Mexiko, dann sollte sich das Verhalten der US-Amerikaner ändern, nicht die Zahl der Mexikaner. Gleiches gilt für Ressourcen, Nahrungsmittel und Wirtschaftsgüter: Die Erde trägt genug für alle und nur, wer nicht teilen will, spekuliert auf weniger potentielle Teilhaber. Also: Wer weniger Menschen will, vor allem in den Entwicklungsländern, setzt sich dem Verdacht aus, dass es ihm im Grunde darum geht, die Pfründe für die Verbliebenen zu sichern und im Grunde – zumindest für „den Westen“ – gar keine Änderung von Art und Umfang der Natur- und Ressourcennutzung erwägen zu wollen. Mit diesem impliziten „Weiter so – zumindest bei uns!“ koterkariert der Ansatz einer aktiven Steuerung der Fertilität in Entwicklungsländern die ökonomischen und ökologischen Veränderungspläne hin zur echten globalen Gerechtigkeit. Oder eben – Nachhaltigkeit.
Viel Neues bietet der Lagebericht des Worldwatch Institutes nicht – wer sich mit dem Thema schon länger beschäftigt, bekommt bestens bekannte Vorschläge präsentiert, die allenfalls in ihrer Konkretisierung an Profil gewinnen. Wer allerdings einen Überblick erhalten will über die Wege (aber auch die Irrwege) der Nachhaltigkeitsdebatte vor dem Hintergrund von Entwicklungsnotwendigkeit, Ressourcenknappheit und Klimawandel, ist mit dem Sammelband gut bedient.
Bibliographische Daten:
Worldwatch Institute (Hrsg., in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Böll-Stiftung und Germanwatch): Zur Lage der Welt 2012: Nachhaltig zu einem Wohlstand für alle. Rio 2012 und die Architektur einer weltweiten grünen Politik
München: Oekom-Verlag (2012)
289 Seiten, 19,95 EUR
ISBN-13: 978-3-86581-229-02
Josef Bordat
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