Freitag, 06.10.2006 | 23:19 Uhr
Autor: andreaffm
So im Messetrubel geht das Konzept mit dem Lesen im einsamen Stübchen ja immer wieder mal unter. Umso schöner, wenn man Bücher findet, die man bereits auf Englisch gelesen hat, und die nun auf Deutsch erscheinen. Eins davon ist Marina Lewyckas „A Short History of Tractors in Ukrainian“, oder auf Deutsch: „Kurze Geschichte des Traktors auf Ukrainisch“.
Der Titel ist das reine Understatement und trotzdem treffend. Zunächst mal: Das Buch ist unglaublich witzig und die knappe Sprache der nach England eingewanderten Ukrainer großartig lakonisch. So viele Superlative. Aber es kommen noch mehr: Die Figuren sind wunderbar in ihren kleinen Gemeinheiten und großen Plänen, die sich alle in die Quere kommen, bis ein unentwirrbares Knäuel zurückbleibt, das sich am Ende dann doch irgendwie glättet.
Im Mittelpunkt steht Valentina: Blond, große Körbchengröße, 36 Jahre alt, geschieden, Ukrainerin und wild entschlossen, am westlichen Wohlstand zu partizipieren. Dazu soll ihr der über achtzigjährige verwitwete Vater von Vera und Nadeshda mittels Heirat verhelfen, was die beiden gegensätzlichen Schwestern schwer entsetzt. Beide sind seit dem Tod der Mutter zerstritten und verweigern jegliches Gespräch miteinander, die Katastrophe in Form der Ukrainian Bombshell Valentina macht sie jedoch wider Willen zu Sisters in Crime.
Und natürlich erfährt man innerhalb dieser Rahmenhandlung eine Menge über Traktoren und die Ukraine, was sich als interessanter heraustellt, als es sich anhört. Und über Einwanderungsrecht, den natürlich steht die Auseinandersetzung mit der Sehnsucht nach materieller Sicherheit im Mittelpunkt des Buches: Wer darf wann mit welcher Berechtigung in ein reicheres Land ausreisen? Ist das überhaupt eine Frage der Berechtigung, nicht eher eine Frage der Begehrlichkeiten und der Risiken, die man dafür einzugehen bereit ist?
Marina Lewycka ist in einem Flüchtlingslager in Kiel zur Welt gekommen und wuchs in England auf. Sie lehrt an einem Polytechnischen College und hat mit fast sechzig Jahren ihren ersten Roman geschrieben, der auf Anhieb ein Erfolg wurde, und das völlig zu recht. Letztes Jahr war die Originalausgabe auch für den Booker nominiert. Auch völlig zu recht.
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