Samstag, 06.10.2007 | 14:09 Uhr

Autor: molosovsky

Was schert mich mein Geschwätz von gestern?

Immer vergnüglich, wenn Kritiker diese Figur vortanzen.

Im Frühjahr vergleicht Tilman Krause in seiner Kolumne »Krauses Klartext« (oder sollte da stehen »Krauser Klartext«?) die ›Massenhysterie‹ wegen des süßen Eisbärbabys Knut, den Ansturm auf moderne Kunst in New York, den Kult um unseren deutschen Papst mit der Begeisterung der Leser und Kritiker für Daniel Kehlmanns »Die Vermessung der Welt«. Als sich stets elitär Gebährdender ist Krause dieser ›Massenauftrieb‹ freilich ›suspekt‹.

Nein, suspekt ist die Austauschbarkeit, mit der sich diese Massen mal einem seltenen Tier, mal einem charismatischen Menschen, mal einem Buch und mal einem Haufen Bilder zuwenden. Hier geht es nicht um Liebe, Anerkennung, Durchdringung, Auseinandersetzung. Hier geht es um Fetischbildung, um einen irrationalen Vorgang, der ein unübersehbar großes Kollektiv erfasst und dasselbe ums goldene Kalb tanzen lässt.

Interessant für den Kulturkritiker ist dabei die Tatsache, dass inzwischen auch Literatur Fetischqualität angenommen hat. Merkwürdigerweise nicht die sogenannte Pop-Literatur, die noch vor einigen Jahren so viel Staub aufwirbelte. Nein, Kehlmanns »Vermessung der Welt« ist ein anspruchsvoll erzähltes sprachliches Kunstwerk, dessen komischer Reiz sich nur demjenigen erschließt, der über historische Kenntnisse verfügt. Trotzdem hat es eine Million Menschen (Käufer? Leser?) gefunden, wo wir doch von Enzensberger wissen, dass es nicht mehr als 60000 Menschen in Deutschland gibt, die ein Buch intellektuell und emotional erreicht. Den Buchhandel freut’s natürlich. Aber Autoren und echten Lesern sollte es unheimlich sein.

Mittlerweile aber scheint irgendwer Tilman ausgedeutet zu haben, in welche verklemmte Orchideenecke er sich hockt mit seinem Generaldünkel gegen alles mainstreamige von Publikumserfolgen, und was an Kehlmans Romanen, auch seinem jüngsten, durchaus taugt, obwohl oder gerade weil sich dieses Buch so großer Beliebtheit und Zusprache erfreut. Wer immer Krause Nachhilfestunden gegeben hat, nicht nur mit stocksteifer Ehrfurcht auf die Geistesriesen deutscher Vergangenheit zu gucken, sondern sich, z.B. dank Kehlmanns »Die Vermessung der Welt«, auch mit Humor und Schaudern diesen Klassikern zu nähern: mein Dank ist ihm oder ihr gewiss.

Nachtrag: Peinlich für mich, aber das hohlste Getöne von Tilmann ›Daniel Küblböck des deutschen Feuilletons‹ Krause zu »Die Vermessung der Welt« habe ich jetzt erst entdeckt. Ebenfalls im März hat Tilman mit seinem Möchtegernmeisterkochlöffel ganz dolle auf Kehlmanns Roman eingedengelt. So kommt er im März dieses Jahres zu dem Schluß, der »Vermessung der Welt« fehle

{…} vor allem Leidenschaft und Tiefe. Es fehlen Lust und Drang zu problematisieren. Es fehlen die weitausholenden Gebärden der Welterklärungswucht. Es fehlt mit anderen Worten – das 19. Jahrhundert.

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Ein Kommentar

  1. Das grossen BuchMesseN | Fair Y Tales at in|ad|ae|qu|at Says:

    […] schön , dass es da die wachsamen Augen der bloggenden Literaturwelt gibt , die sich keinen Kehlmann als WELT- X für ein K U nstwerk vormachen lassen . Das nachgerade klassische Literatur- Café bedenkt die Zuerkennung des Deutschen […]

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