Freitag, 10.02.2012 | 11:43 Uhr
Autor: hedoniker
Von Zeit zu Zeit stößt man auf einen Roman, der den Leser noch zu überraschen vermag. Überraschen durch ungewöhnliche Abhandlung der klassischen Themen der Literatur – Liebe, Rausch, Isolation, Selbstfindung.
Überrascht war auch Markus Hablizel, als er vor einigen Jahren zufällig auf Justin Courters Romandebüt „Skunk – A love story“ stieß. Und begeistert; derart begeistert, dass er kurzerhand einen eigenen Verlag gründete, um „Skunk“ in Deutschland zu veröffentlichen. Im letzten Herbst ist der Roman – bisher eher unbeachtet – in der sehr lebendigen Übersetzung von Stephan Glietsch erschienen.
„Skunk“ ist ein schwarzhumoriger, liebevoll misanthropischer, freakiger Suchtroman, ein Aufeinandertreffen durchgeknallter Charaktere, eine selbst gewählte Robinsonade.
Es gibt Vorlieben, die das Leben in der Gesellschaft schwer machen. Die Vorliebe für Stinktiersekret gehört zweifelsohne dazu, wenn man in einem Vorort an der Ostküste wohnt.
Das Alleinsein stört Damien Youngquist, Werbetexter in seinen Dreißigern, nicht, ist er doch sowieso ein Einzelgänger, dem Kollegen, neugierige Nachbarn und andere Nervensägen ein Graus sind. Er möchte seine Ruhe, den Kontakt zur Außenwelt auf das Nötigste beschränken und sich ganz seiner Familie widmen. Diese besteht aus Homer, Louisa und ihren Kindern, allesamt Skunks. Denn eines Tages hatte Damien beschlossen, sich einen eigenen Skunk anzuschaffen. Jahrelang hatte ihn der Skunkgeruch zaghaft umworben, es schien an der Zeit, seinem Verlangen nach dem Analdrüsensekret, dem – wie Damien es nennt – Moschus, nachzugeben. Er lernt, seine Stinktiere zu melken und die Flüssigkeit in Gläsern zu konservieren. Mit seinem Arbeitgeber vereinbart Damien, von zu Hause aus zu arbeiten, Homer und Louisa fühlen sich wohl bei ihm, das Leben könnte für einen Stinktierfetischisten kaum angenehmer sein. Dann lernt er noch Pearl kennen, Einzelgängerin wie er, Meeresbiologin mit einer Vorliebe für Fisch und dessen Geruch. Es entspannt sich eine zarte Liebe mit robustem Geschlechtsverkehr.
Dann gerät sein Leben aus den Fugen. Homer und Louisa werden getötet und Pearl verschwindet. Damien lässt sein altes Leben hinter sich und kauft sich eine Farm mit Blockhütte tief im Mittleren Westen. In der Abgeschiedenheit versucht er, mit ökologischem Landbau als Selbstversorger über die Runden zu kommen, ungestört von seinen Mitmenschen. Er hält sich eine erkleckliche Anzahl Stinktiere, und nach anfänglichen Schwierigkeiten scheint es mal wieder, als würde Damien seinen Frieden finden. Dem ist natürlich nicht so. Lokale Hinterwäldler – eine derart präzise Zeichnung der Figur des Redneck war zuletzt in Joey Goebels „Heartland“ zu lesen -, Junkienachbarn, Tierschützer und die Staatsgewalt dringen ein, Pearl taucht schwanger wieder auf und Damien bekommt die Nebenwirkungen seiner Sucht zu spüren, er erblindet langsam.
Justin Courter hat mit Damien eine Figur entworfen, die sich den gängigen Charakteristiken entzieht. Mit mehr Sympathie für einen Protagonisten hat man das langsame Abgleiten in den Wahnsinn, den Kontrollverlust durch exzessiven Drogenkonsum – Skunkmoschus entpuppt sich als neue Superdroge – selten verfolgen können. Damien ist ein Getriebener, der unweigerlich dem Abgrund entgegensteuert. Als Gegenpol fungiert Pearl, Außenseiterin auch sie, im Gegensatz zu Damien aber mit beiden Beinen auf dem Boden stehend. Die beiden geben ein wundervolles Paar ab, auch wenn Damien ständig das Für und das Wider einer Beziehung gegeneinander abwägt. Der Leser fühlt sich an Gerald und Martha aus James Hamilton-Patersons „Kochen mit Fernet-Branca“ erinnert.
„Skunk“ steht in einer erzählerischen Tradition, in der sich Realismus und Absurdität auf gleicher Höhe begegnen. Wenn im Klappentext vom kauzigen Cousin John Irvings zu lesen ist, dann ist dies nicht zu hoch gegriffen. Wie Irving auch vermag es Courter, das Groteske einzuflechten, ohne die Imagination des Glaubhaften zu verlassen.
Bei allen Reminiszenzen findet „Skunk“ jedoch seinen ganz eigenen Weg, der es mehr als verständlich macht, dass dafür eigens ein Verlag gegründet wurde. Viele Leser sind ihm zu wünschen.
SKUNK
Justin Courter
Roman
Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Stephan Glietsch
Broschur
416 Seiten
18,90 Euro (D)
ISBN 978-3-941978-09-6
Erschienen bei Hablizel.
Tags: Justin Courter, Literatur, Roman, Skunk
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13.02.2012 um 8:40 Uhr
Darf ich hier auch mitmachen? Wenn ja, welche Art von Bücher sind erwünscht? Gibt es Bücher über die man nicht schreiben sollte bzw. darf?
11.07.2012 um 14:34 Uhr
[…] Von Stinktieren und anderen großen Lieben. Justin Courter „Skunk“ […]