Montag, 22.08.2011 | 23:43 Uhr
Autor: Immo Sennewald
Als Leseprobe aus dem dritten Teil meiner Romantrilogie – er hat den Titel "Raketenschirm" – hier eine kleine Zeitreise ins Jahr 1979, in eine seinerzeit für die Ausbildung der "Regieelite" der DDR bestimmte Institution, die sich bei näherem Hinsehen als stasiimprägniertes Kontrollinstrument für DDR-Theater darstellt. Gustav Horbel hat nach allerlei Turbulenzen das vierte Jahr seines Regiestudiums erreicht, fast alles über das Theater Bertolt Brechts gelernt, das Meiste mag er, z.B. den Satz "Der Sieg der Vernunft kann nur der Sieg der Vernünftigen sein". Seine Diplominszenierung steht an, nur ein einziges Theater will das Experiment mit einem Diplomanden wagen. Das Stück, das er inszenieren soll, hat den Titel "Söhne des Stahls", verfasst hat es der Nationalpreisträger Claus H. Grandel.
Er konnte die Geschichte hin und her wälzen so oft er wollte – Horbel bekam nicht den Kern zu fassen, aus dem heraus sich dramatische Widerborstigkeiten hätten entwickeln lassen. Die Dialoge der Figuren strotzten vor Nettigkeit oder Pathos, lauter harmlose Angestellte neckten sich gegenseitig oder gingen ernsthaft ihren sozialistischen Geschäften im Stahlwerk nach, als Teil von jener Kraft, die stets das Gute will und stets die Langeweile schafft.
Der Konflikt war genaugenommen ein klassisches Dreieck: junge, hübsche Kranführerin wird vom Parteisekretär angebetet, der ist aber verheiratet mit einer so kreuzbraven wie eifersüchtigen Christel von der Post. Eines Tages taucht in der Poststelle ein Brief aus dem Westen an das Kranmädel auf, fällt der Rivalin in die Hände, wird dampfgestrahlt, offenbart ein Geheimnis: das Kranmädel ward einstens adoptiert, die natürlichen Eltern erkundigen sich nach dem seitherigen Ergehen, deuten die Möglichkeit einer Familienzusammenführung Richtung Ruhrgebiet an. Triumphierend hält die Postfrau ihrem Gatten den Schrieb vom Klassenfeind unter die Nase. Der ist natürlich pikiert, sorgt aber ebenso natürlich dafür, dass der Brief die Empfängerin erreicht.
Was aber tut die Bestarbeiterin am Hebezeug? Sie – obwohl der führenden Klasse zugehörig – schwankt! Aber nicht etwa aus politischen Gründen, sondern weil sie beleidigt ist. Der Galan mit Führungsrolle gesteht ihr nämlich neben seiner Liebe auch den Übergriff gegen’s Postgeheimnis; nicht seinetwegen, so die Rede, habe er sich stasiartig verhalten, sondern um die Hoffnungsträgerin am verhängnisvollen Schritt gen Westen zu hindern. Folgt die Gretchenfrage: Soll ich deinetwegen hierbleiben oder für die Planerfüllung im Stahlwerk?
Der Mann ist ein Held und wählt das Stahlwerk nebst Christel, woraufhin Gretchen nach einigem Hin und Her Richtung Duisburg entschwindet. Pause.
Danach wird’s auf nicht weniger erwartbare Weise dramatisch: die Westeltern sind reich, aber mit dem Gemüt einer emanzipierten Heldin der sozialistischen Arbeit inkompatibel. Sie versuchen andauernd, sie standesgemäß zu verheiraten. Das Ostkind büxt aus, trifft einen kernigen Stahlarbeiter, der nach ihrem Geschmack ist, lässt sich von ihm ein Westkind machen. Naja – der Titel ließ etwas Derartiges erwarten. Statt sich nun übers kommende Enkelchen zu freuen, machen die West-groß-eltern der armen Gretel das Leben sauer, weil der Schwiegersohn nicht standesgemäß ist. Die zischt daraufhin gemeinsam mit ihrem Stahlwerker ab Richtung Arbeiter-und-Bauern-Staat. Das sieht nach einem Happyend aus, wird es aber nicht, und genau dafür wurde das Stück 1969 von der Presse gelobt, verfilmt, der Autor bekam einen Nationalpreis, Gustav Horbel von einem Theater im Norden der DDR den Auftrag, es zum 30sten Jahrestag der Staatsgründung wiederzubeleben, obwohl sich die Familienzusammenführerei seit den Helsinki-Verträgen Mitte der 70er Jahre zu einem veritablen Ärgernis für den Staat von Erich & Erich ausgewachsen hatte. Die “Söhne des Stahls” sollten dennoch aufrütteln.
Der Autor nämlich, Claus H. Grandel, wusste den dramatischen Knoten zu schürzen: Die Westeltern setzen im letzten Akt mit Unterstützung einer ebenso bösartigen wie bestechlichen Figur, der Losbudenbesitzerin Edda, ein Gerücht in die heile Welt der Stahlkocher: der Parteiarbeiter, nicht der an der Walzstraße hat das Gretel geschwängert. Der Duisburger Kraftkerl fährt daraufhin in seinem mitgebrachten Manta den Rivalen zum Krüppel. Natürlich kommt alles heraus. Edda beichtet in einem Heulkrampf, der Klassenkämpfer, im Rollstuhl von seiner Christel zum Finale geschoben, nimmt ein gerüttelt Maß Schuld auf sich, der Stahlarbeiter, immer noch zweifelnd an der Liebe der Kindsmutter, verordnet ihr und sich drei Bewährungsjahre, in denen er bei der Nationalen Volksarmee dienen wird „Dat unsa Kind vor Omma, Oppa un Ihresjleischen sischa is!“. Vorhang.
Gustav fragte sich, ob von den Verantwortlichen ernsthaft jemand daran glaubte, irgendeine von Erich & Erich enttäuschte Krantante, Kellnerin oder Verfasserin unveröffentlichter Poesie zöge nach Ansicht einer Vorstellung von „Söhne des Stahls“ anno 1979 ihren Ausreiseantrag zurück. Falls das die Botschaft war, hätte sie schon zur Premiere niemand hören wollen – außer den von Berufs wegen ins Theater Abgeordneten. Tine hatte Recht: Es war Kitsch, es war vielleicht halbwegs erträglich gewesen, wenn man Schauspieler wie sie mit ihrer abgefeimten Naivität und Obentraut mit seinem bulligen Charme hatte. Gustav Horbel würde sie nicht haben. Er musste die Botschaft ändern, ohne die Figuren zu verraten. Das war unmöglich, also begann er, sich an einer akribischen Konzeption abzuarbeiten – vom Bühnenbild über die Dramaturgie bis zu den Vorgängen in jeder einzelnen Szene, Charakteranalysen bis in Nebenrollen hinein. Er wollte, ganz im Sinne des großen Bertolt Brecht, die Geschichte historisieren, verfremden, sie ins „seltsam ferne Jahr 1969“ versetzen und dadurch den Zuschauern das „Dazwischenkommen“ ermöglichen, das Mit- und selber Denken. Und das Denken gehörte ja nach Brecht zu den größten Vergnügungen der Menschheit. Darin folgte Gustav Horbel, der ehemalige Physiker und Regiestudent, gar zu gern BB, dem Lehrer seiner Regielehrer.
Im Herbst legte er dem zuständigen Dozenten das Ergebnis in einem dicken Aktenordner vor. Der nickte überraschenderweise, drückte Gustav das Paket nach drei Tagen wieder in die Hand und sprach: „Na, dann machen’se mal, Horbel. Bin gespannt, was dabei rauskommt.“
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09.09.2011 um 12:07 Uhr
Hätte der gute Mann halt nen ordentlich Kran benutzt dann wär alles sicher deutlich einfacher von statten gegangen.
09.09.2011 um 13:26 Uhr
Hätte der Spamkommentator lesen und schreiben gelernt, wäre sein Spam weniger spammig.