Samstag, 22.10.2005 | 20:56 Uhr

Autor: molosovsky

The Last Eisner-Spritz

Das Komplott
Eine der hoffnungsspendenden, ungewöhnlichsten Neuerscheinungen dieses Jahres ist für mich »Das Komplott — Die wahre Geschichte der Protokolle der Weisen von Zion« das letzte Werk von Will Eisner, der Anfang des Jahres gestorben ist. Am gestrigen Freitag diskutierten die beiden Comicexperten Andreas Knigge und Andreas Platthaus mit DVA-Lektorin Julia Hoffmann über das Comic.

Nun könnte man sagen, daß Will Eisner kein großer Phantast war, aber dem widerspreche ich heftig: seit den alten Volksverlags-Alben aus den Achzigern (»Tod & Steuern«, »Leben mit Pflanzen« und »Will Eisners Astrologie«, alle vergriffen) bewundere ich Eisners Fertigkeit, die wildesten Zusammenhänge anschaulich darzustellen. Wunderbar, daß weder bei der DVA noch in den Medien großes Aufhebens darum gemacht wurde, daß ein ›seriöser‹ Verlag ein Comic verlegt. Noch wunderbarer, daß man sich — wie Lektorin Julia Hoffmann erzählt — bei der DVA durchaus vorstellen kann, weitere Arbeiten von Eisner herauszubringen (zum Beispiel »Contract with God«). Oh ja, macht mich glücklich.

Ich habe nie verstanden, warum man in unserer Kultur der Phantastik mit einem Grundbass der Skepsis im Gemüth begegnet. Freilich läßt sich der mächtige Werkzeugkasten der Phantastik zum Verblenden, Täuschen, Verführen und Irreleiten einsetzten. Damit kann man z.B. ein paar tragisch-größenwahnsinnige Jahre für empfängliche Geister zu tausendjährigen Reichen aufpimpen. Doch kann Phantastik genauso gut der Erhellung, Aufklärung, Ernüchterung und Orientierung dienen, auch wenn es womöglich schwerer ist, dabei verständlich, unterhaltsam und erzählerisch plausibel zu bleiben. Ich kann nicht in minderen Tönen von Will Eisner sprechen, und empfehle ihn rundweg als einen weisen Erzähler und erstklassigen Zeichner. Mit den flotten Krimi-Abenteuern von »The Spirit« hat er mein Genre-Herz erobert, mit seinen späteren Arbeiten, in denen er vor allem Geschichten aus dem Leben der einfachen New Yorker erzählt (z.B. »Big City Blues«), hat er mir Lektionen im Staunen, Entdecken, Lachen und Mitfühlen gegeben.

{Zum Titel dieses Eintrags: Großstadtregen zeichnete Eisner so stilprägend, daß der Begriff vom exemplarischen ›Eisner-Spritz‹ in den Geek-Slang (= Zeichner- und Comicliebhaber-Fachsprache) einging.}

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3 Kommentare

  1. molosovsky (Alexander Müller) Says:

    Das nenn ich die Magie des Bloggens. Vor wenigen Minuten habe ich diese Empfehlung abgeschickt, und flitzeflink wurde sie schon von einem Kollaborateur um eine Beispielseite aus »Das Komplott« ergänzt. — Danke lieber Unbekannter.

  2. Oliver Gassner Says:

    Der Unbekannte heißt Gassner; das ist der einzige, der hier in Artikeln rumpfuscht/rumpfschen kann. (Thomas macht das eher selten. *g* Der hat genug zu tun ;))

  3. stoppoker77 Says:

    Comics dienen auch zur Verarbeitung von schrecklichen Ereignissen
    siehe
    – Maus
    – Im Schatten keiner Türme
    beide von Art Spiegelman

    Warum der Comic in Deutschland so schlecht angesehen ist und als reines ‚Kindermedium‘ angenommen wird ist mir immer noch rätselhaft, ich habe als Kind/Teenager auch alles gelesen was es in der Kinder/Jugendabteilung der Bücherei an Comics gibt, aber ich bin erwachsen und warum verdammt noch mal sollte ich nicht jetzt Comics für Erwachsene lesen?

    Ich glaube ja das die Deutschen grundsätzlich ein Problem mit Fantasie haben, es wird zwar immer gesagt das sie wichtig ist für die Entwicklung aber wenn man mal in die Schulen guckt dann sind das meistens Orte an denen die Fantasie gekillt wird!

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