Dienstag, 25.11.2014 | 11:35 Uhr
Autor: JosefBordat
Einer aktuellen Umfrage zufolge befürworten weite Teile der Deutschen nicht nur den assistierten Suizid (46 Prozent Zustimmung), sondern auch die aktive Sterbehilfe (37 Prozent Zustimmung), also die Tötung auf Verlangen eines Menschen, der dazu selbst nicht in der Lage ist. Immer weniger scheint das Prinzip zu gelten, ein Mensch solle an der Hand, nicht durch die Hand der Angehörigen sterben, immer stärker scheint die Würde relativ, weil streng an ein Leben ohne Schmerz und Leid gebunden. Die klassische christlich-humanistische Position, die von der unbedingten Würde des Menschen und dem absoluten Wert seines Lebens ausgeht, die Trost und Hilfe kennt, aber auch „Lebenspflicht“ (Kant), scheint heute nicht mehr in Mode. Allenfalls die Katholische Kirche vertritt eine deutlich ablehnende Haltung gegenüber der Sterbehilfe, soweit damit nicht die Hilfe beim, sondern die Hilfe zum Sterben gemeint ist. Doch ihre Auffassung teilt in Deutschland gerade jeder Neunte, obgleich jeder Dritte katholisch ist.
Auch in der Katholischen Kirche gehen also die Meinungen auseinander. Umso wichtiger ist es, sich in Kirche und Gesellschaft intensiv, ernsthaft und in Achtung vor der Sicht des Anderen mit den Fragen von Sterben und Tod, Leben und Leid, Würde und Wunsch auseinanderzusetzen. Orientierende Debattenbeiträge aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Kontexten versammelt der Band Dem Menschen nahe sein, der jetzt im Styria-Verlag erschien.
Die Herausgeber, der Psychotherapeut Herwig Oberlerchner und der Publizist Gerald Heschl, lassen Mediziner und Philosophen, Juristen und Theologen zu Wort kommen. In analytischen und praktischen Zugängen entsteht so ein aspektenreiches Buch mit wertvollen Ansichten zum Umgang mit Leiden, Würde und Sterben. Zentral ist dabei die Lage in Österreich, sowohl hinsichtlich des geltenden Rechts als auch der gesellschaftlichen Debatte. Die meisten der präsentierten Einsichten sind jedoch universell.
Dass etwa der Wunsch zu sterben, der im Mittelpunkt der aktuellen Debatte um Sterbehilfe steht, im Grunde der Wunsch ist, nicht mehr so weiterleben zu müssen, dass also die vermeintliche Todessehnsucht eigentlich eine Sehnsucht nach Veränderung im Leben ist, zeigt Oberlechner in seinem Beitrag über psychische Erkrankungen und Suizidalität. Zugleich muss der Sterbewunsch als Appell an die Umgebung aufgefasst werden, wie Susanne Zinell betont, vor allem wohl als Schrei nach Wachsamkeit und Wahrnehmung in Richtung der Angehörigen – was für diese nicht leicht ist. Aus der Tatsache, dass wir alle früher oder später in die Lage des mit-leidenden Angehörigen geraten werden, der vom Hilferuf eines leidenden nahestehenden Menschen betroffen und auch belastet ist, speist sich ein Teil der Debattendynamik – und vielleicht auch ein Teil der riesigen Zustimmung zum vermeintlichen „Ausweg“ Sterbehilfe.
Angenehm an den Beiträgen des in Art und Umfang leicht zugänglichen Bandes ist der respektvolle Duktus, mit dem die jeweiligen Standpunkte vorgetragen werden. Johannes Staudachers ethische und spirituelle Gedanken etwa münden in ein klares christliches Bekenntnis zum Leben ein, ohne den Gottesbezug als hinreichend für eine allgemeine Lösung des Konflikts um die Sterbehilfe zu behaupten. Österreichs führende Vereinigungen aus Hospizbewegung und Palliativmedizin positionieren sich in einem abschließenden Statement zwar klar gegen eine gesetzliche Freigabe der aktiven Sterbehilfe (Tötung auf Verlangen) sowie der Beihilfe zum Suizid, sehen darüber hinaus jedoch die Notwendigkeit, die „Grenzen der Leidensfähigkeit“ von Menschen im Einzelfall zu beachten, ohne wiederum zu meinen, daraus allgemeine Regeln ableiten zu können. Als grundsätzliche Alternative zur Aufweichung des Verbots von Sterbehilfe in Österreich fordern sie einen Rechtsanspruch auf Betreuung in den von ihnen vertretenen Einrichtungen, was durch eine entsprechende finanzielle Ausstattung mit Geldern der öffentlichen Hand praktisch ermöglicht werden soll.
Nicht nur in der Auffassung der „Interessenvertretung“ derer, die beim Sterben begleiten (und nicht zum Sterben), sondern auch in den theoretischen Betrachtungen zeigt sich eine deutliche Tendenz zur Beibehaltung eines Verbots von Sterbe(bei)hilfe. Den 83 Prozent der Deutschen, die das offenbar anders sehen, sei die Lektüre des Bandes nachdrücklich empfohlen.
Bibliographische Daten:
Herwig Oberlerchner / Gerald Heschl: Dem Menschen nahe sein. Vom Umgang mit Leiden, Würde und Sterben.
Wien: Styria.
165 Seiten, EUR 19,99.
ISBN-13: 978-3-222-13483-8.
Josef Bordat
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