Mittwoch, 23.01.2008 | 23:58 Uhr
Autor: Regula Erni
Markus Gasser hat Handkes neuste Erzählung gelesen. Er scheint, wie andere auch, begeistert zu sein, nicht nur von der Erzählung, von Handke überhaupt.
Handke gehört zu einer Generation, die das wahrhaft Grosse mit dem vollendeten Mangel an Dreh und Drama gleichsetzte, die Spannung, sofern sie nicht aus Empfindung und Sprache kam, in die sogenannte Trivialliteratur verbannte und dann darüber klagte, dass ihr Publikum, statt ihre Texte zu lesen, fernsehen ging. »So wie einst«, dekretierte Adorno, »lässt sich nicht mehr erzählen« — und Handke lieferte, auch ohne es zu wollen, die Bücher dazu: Es geschah bei ihm von Mal zu Mal weniger; die Plots, die er dem Kriminal- und Bildungsroman entlehnte und munter unter Titeln arrangierte, für deren Beschwörungskraft andere Autoren noch heute ein Flugzeug entführen würden — »Die Angst des Tormanns beim Elfmeter«, »Der kurze Brief zum langen Abschied« —, schwanden unter der Last existenzieller Dringlichkeit, die er ihnen auflud, unauffindbar dahin. Das Publikum wandte sich dem Macondo von Gabriel García Márquez zu — Handke aber blieb, auch wo er zu Homer, Cervantes, Joseph Conrad unterwegs war, immer bei sich.
[…] So hat er, wie zu erwarten, auch diesmal keinen Roman dickensscher Provenienz geschrieben, der Plot seiner romanlangen »Erzählung« folgt, zumindest darin durchaus vorarrangiert, der Gangart fast aller seiner Werke und ist, wie er’s am liebsten hat: kaum der Rede wert. Es geschieht darin — ausdrücklich — »wieder und wieder nichts«. Namenloses Personal reist durch ein märchenhaftes Europa und kommt ob der glänzenden Beiläufigkeiten ringsumher aus dem Staunen nicht mehr heraus, die dem Leser eine nachhaltige Vorstellung vom Wort »Chaos« vermitteln.
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Tags: Erzählung, Handke, Kritik, Literatur, Lob
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