Donnerstag, 19.06.2008 | 10:19 Uhr
Autor: Andreas Schröter
Weniger wäre mehr gewesen. Michael Chabons neuer Roman „Die Vereinigung jiddischer Polizisten“ ist nicht nur ein Krimi, sondern zugleich eine Art jüdische Gesellschafts-Utopie. Zuviel für ein einziges Buch.
Das Krimi-Element ist eine Hommage an die amerikanischen Hardboiled-Romane der 40er und 50er Jahre a la Raymond Chandler – mit den typischen Versatzstücken und dem bekannten Textaufbau: Ein versoffener und heruntergekommener Detective mit Eheproblemen findet im Hotel eine Leiche. Nach allerlei für den Leser nicht immer leicht nachvollziehbaren Wirrungen, Schießereien, weiteren Ehekrächen, Blut und Gewalt entlarvt er am Ende den Mörder. So weit, so mittelmäßig.
Ungewöhnlich ist der Ort des Geschehens: der Distrikt Sitka in Alaska, in dem die Juden nach dem Zusammenbruch Israels im Jahre 1948 eine auf 60 Jahre befristete Bleibe gefunden haben. Der Roman spielt in der Zeit, kurz bevor das Land wieder an die USA zurückgegeben werden muss. Eine Utopie also, ein so genannter „Alternativweltroman“, der die historischen Fakten durch fiktive ersetzt. So etwas hat vor allem in der Science-Fiction Tradition (Philip K. Dick: „Das Orakel vom Berge“ – Deutschland und Japan haben im Zweiten Weltkrieg Amerika besetzt und untereinander aufgeteilt).
Michael Chabon (geb. 1963), dessen erster Roman „Die Geheimnisse von Pittsburg“ (1988) bereits ein Welterfolg wurde, nimmt mit dieser Romankonstruktion jedoch in Kauf, dass sich die beiden so unterschiedlichen Elemente gegenseitig neutralisieren und sich ihrer Wirkung berauben. Die Utopie hängt am Ende seltsamerweise im luftleeren Raum und man stellt sich die berühmte Deutschklausur-Frage: Was wollte uns der Autor eigentlich damit sagen?
Während Chabon-Vorbild Raymond Chandler in seinen Romanen einen vollkommen puristischen, schnörkellosen, manchmal gar schnöden Stil pflegte, ergeht sich Chabon in wilden Satz-Kaskaden. Ein sprachlich fein ziselierter Gag jagt den nächsten. Das erfordert vom Leser nicht nur ein Höchstmaß an Konzentration, sondern macht die Handlung zäh und tötet die Spannung. Rezensentin Pieke Biermann nennt diesen Schreibstil in ihrer Rezension für das Deutschlandradio treffend den „Chabon-Barock“. Hinzu kommt die Eigenart des Autors, ständig jiddische Ausdrucke einzuflechten, manche davon sogar fiktiv („Shojfer“ für die in Sitka hergestellten Handys). Das alles macht das Lesen nicht leichter, auch wenn es am Ende ein Glossar mit der deutschen Übersetzung für die jiddischen Vokabeln gibt – denn wer will schon ständig blättern müssen?
Insgesamt nicht empfehlenswert.
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Michael Chabon: Die Vereinigung jiddischer Polizisten.
Kiwi, April 2008.
422 Seiten, Hardcover, 19,95 Euro.
Tags: Alternativweltroman, Belletristik: Krimi, jiddisch, Juden, Michael Chabon
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24.06.2008 um 20:09 Uhr
Alternativweltroman, richtig. Utopie, ist eigentlich was anderes.
Ansonsten vermelde ich mal, dass »Die Vereinigung Jüdischer Polizisten« den diesjährigen Locus-Award bekommen hat (ist einer der wichtigeren/bedeutenderen anglo-amerikanischen, sprich, internationalen Phantastik-Preise).