Montag, 29.05.2017 | 23:25 Uhr
Autor: rwmoos
Portugiesische Rache: Roman – Ein Lissabon-Krimi (Portugal-Krimis, Band 2)
Im Vorortzug nach Lissabon
Summary: Flüssig zu lesender Sonntag-Nachmittag Krimi ohne allzu gehobene Ansprüche.
Da kommt man von einem Konzert der Wiener Philharmoniker nach Hause und muss am nächsten Abend zum Schulkonzert, wo der eigene Nachwuchs fleißig die Saiten des Violoncell’s zusammenschrubbt. Andersherum wäre besser, weil man, ob man wollte oder nicht, die reineren Töne noch im frisch gewaschenen Ohr hatte. Ein Vergleich wäre schäbig und würde beiden Seiten nicht einmal ansatzweise gerecht.
So ungefähr geht es mir, wenn ich, einige Zeit nach der Lektüre der Romane von Carlos Ruiz Zafón den ähnlich gelagerten Ansatz von Luis Sellano vorliegen habe: Ein Antiquariat als Dreh- und Angelpunkt der kriminologischen Nachlese eines politischen Regimes, welches die Gesellschaft nachhaltig entzweite und Verletzungen hinterlassen hat, die umso weniger heilen, als man sieht, dass die Dunkelmänner der alten Liga auch in der Neuzeit ihr Schäfchen trocken halten konnten.
Das Ganze vor dem Hintergrund einer Lokalität, die dem Touristen in angenehm ausstrahlender Erinnerung ist: Hier Lissabon, dort Barcelona.
Doch wie gesagt – der Vergleich ist nicht fair. Nicht jeder ist ein Weltklasse-Autor. Und doch hat Luis Sellano ein gefälliges Szenario entwickelt, dass sich hie und da wirklich mit den Bedingungen unter dem Estado Novo Salazars und dessen Nachfolgers beschäftigt.
Beschäftigt. Nicht auseinandersetzt. Die Vergangenheit dient nur als düsterer Hintergrund, vor dem sich die durchaus anregende Kriminalstory entwickelt und die ihr die Rechtfertigung liefert.
Ohne Zafón im Hinterkopf wäre der originelle Ansatz durchaus lobenswert.
Was dem vorliegenden Krimi aber nun wirklich einen etwas überholungsbedürftigen Beigeschmack gibt, ist der neokoloniale Ansatz. Ähnlich dem Plot in den alten Bond-Filmen taucht der mitteleuropäische Held in etwas entwicklungsbedürftigen, aber angenehm lässigen Sekundärwelten auf, wo sich neben netten künstlerisch ambitionierten oder zumindest gastfreundlichen Wesen auch allerhand Dunkelvolk tummelt. Gleichwertig männliche Gegenüber gibt es dort ohnehin nicht, aber im Frauenbestand ist die Auswahl ebenso üppig wie die Chancen. Angesichts solcher Auswahl kann aber eine ebensolche nicht recht getroffen werden, was recht dünn mit einer aus einem Verlust geschuldeten Bindungsunfähigkeit verklärt wird.
Mag sein, dass sich Männer mit Mode-Bärten, welche mitnichten zum Walrossjagen taugen, mit derartigen Protagonisten identifizieren können. Ich halte eher dafür, dass der Autor hier doch noch ein paar Schrauben an seinem alpenfesten Weltbild nachjustieren sollte.
Auch insofern Lissabon immer ein wenig zu sehr aus deutscher Touristen-Perspektive geschildert erscheint, fühlt man sich unangenehm an jenen Uralt-Witz mit dem Vorort von Bonn erinnert.
Trotzdem: Ich habe die Lektüre nicht bereut. Dazu gab es trotz Sonne genügend Schatten und kühles fränkisches Bier. Mit den Füßen im Wasser der vereinsamten Bademuschel meiner Tochter kam Langeweile an keiner Stelle auf, und das will doch heutzutage auch etwas heißen.
Tüchersfeld am Sonntag nach Himmelfahrt 2017
Reinhard W. Moosdorf
Tags: Lissabon
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