Samstag, 05.03.2011 | 12:44 Uhr
Autor: Immo Sennewald
Eine „Not- und Erstlingsarbeit“ nennt Eberhard Haufe seine Anthologie deutscher Mariendichtung aus dem Jahr 1960. Er tut das 1993 in seiner Dankesrede zur Verleihung des Weimar-Preises, einer Auszeichnung, die er längst verdient hatte. Aber als er jene Anthologie herausgab, hatten ihn marxistisch-leninistische „Säuberer“ aus der Universität Leipzig entfernt, er war stellungslos, hätte wohl wie mancher Geschurigelte den Weg nach Westen wählen können. Er ging nicht, er suchte sich sein Arbeits- und Überlebensfeld in der Literatur und fand so einen eigenen Weg – sich von den ideologischen Versatzstücken des Ostens ebenso fernhaltend wie von westlichen Modeströmungen. Der „Not- und Erstlingsarbeit“ folgten reihenweise lesenswerte Essays zur deutschen Literatur; der Wallstein Verlag Göttingen hat eine Auswahl in dem vorliegenden Buch zum achtzigsten Geburtstag des Autors zusammengeführt, es besticht schon durch seine editorische Sorgfalt.
Mir gefiel der Essay zur Geschichte der Mariendichtung, da er mich auf unvertrautes Terrain führte. Mir gefielen Haufes Texte zu den Dichtern des 17. Jahrhunderts um so mehr, als ich meine Bekanntschaft mit ihnen Arno Schmidt verdanke. Haufe nahm mich nun wieder zu einer überaus anregenden, mit sprachlichem Detailreichtum begleiteten Exkursion in die literarische Landschaft während und nach dem grausamen 30jährigen Krieg mit. Die Lektüre ist anspruchsvoll, aber niemals akademisch überfrachtet, sie weckt den Wunsch, Texte von Fleming, Brockes, Paul Gerhardt – um nur drei von vielen zu nennen – aufs Neue mit dem von Haufe geschärften Blick zu lesen.
Das gelingt ihm, weil er die Klassiker im Weimarer Schillerarchiv, wo er zehn Jahre lang beschäftigt war, als „zwar vergangenes, doch unvergängliches Leben“ begriff, „die Schreiber waren nahe. lebendige Menschen“. Der „Sachse im Weimarer Exil“ ist sich bewusst: „So geschätzt diese Arbeit mit ihrem übergreifenden inneren Gewinn war, so nahe lag gleichwohl die Gefahr des Elfenbeinturms im Schatten oder im Lichte der Heroen und Ortsheiligen“, und er hat sich dieser Gefahr ebenso eindrucksvoll entzogen wie der politisch linientreuen „Erbepflege“ der DDR-offiziellen Literaturwissenschaft.
Haufes Schriften zur deutschen Literatur werde ich künftig gerne zu Rate ziehen, wenn ich Entdeckungsreisen in die Dichtung aus vier Jahrhunderten unternehmen und mich dabei so verständig wie unterhaltsam führen lassen möchte; ich empfehle literarischen Neulingen das Buch ebenso wie Fachleuten.
Wenn bei der Lektüre Zweifel an mir nagen, ob meine eigene Literaturproduktion Gnade vor den Augen des Gelehrten fände, versichere ich mich einfach des von ihm vorgelebten Prinzips: Literatur ist ein lebensrettender Raum, dort zählen Applaus und theoretische Erwägungen jedenfalls weniger als die Arbeit an dem Buch, das wir sind – und in ihm sind die gelesenen Texte aufgehoben.
Eberhard Haufe „Schriften zur deutschen Literatur“
Wallstein Verlag Göttingen 2011; 542 Seiten, 34,90 €
Tags: Das Wortreich, deutsch, Germanistik, Klassiker, Literatur, Literaturgeschichte, Rezension, Sachbuch, Sprache, Wissenschaft
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