Freitag, 22.09.2006 | 14:33 Uhr

Autor: Jürgen Matthes

Like a virgin

Seit ich online schreibe, habe ich befürchtet, dass mich mal jemand auffordert, über mein erstes Mal zu berichten. Nicht dass ich irgendwas verdrängt hätte, eigentlich fürchte ich auch nicht die Aufforderung, sondern eher den Umstand, dass ich nicht widerstehen könnte, aber wie auch immer, alle Befürchtungen sind gegenstandslos, denn mein erstes Mal fand nie statt. Buchmessenmäßig bin ich völlig unberührt.

Natürlich habe ich doch einige Erfahrung. *hüstl*
Nur eben nicht mit dem „GroßenGanzen“, sondern „nur“ mit der Buchmesse Leipzig, die ja von Haus aus keine kommerzielle Verkaufsmesse, sondern eher eine Art Massenvorstellung der Branche ist. Manche bezeichnen sie auch als Ausweichveranstaltung oder Hoffnungslauf, so eine Art Buchmessenpetting vielleicht, während es in FFM richtig zur Sache geht. Und wie die meisten Ideen auf dem Spontansektor war auch der Besuch in Goethes „Leibtsch“ das Ergebnis der üblichen Rotweinflaute auf der letzten Studentenfete. Beim Nachschubholen stolperte ich an der Tanke über eine kostenlose Wurfsendung, die den schnellsten Weg zum sächsischen Buchmekka wies, stopfte den Wisch zwischen die Flaschen, was beim leeren derselben zu einer Diskussion, einem Entschluss und letztlich dazu führte, dass wir den nächsten Morgen mit brummeligen Köpfen im Regionalzug verschnarchten.

Die Messe Leipzig war damals recht neu gebäudet, mir daher völlig unbekannt und so stand ich denn doch recht überrascht in einer hellen Glashalle, umgeben von murmelnden Messegästen, schick gewandeten Stewardessen, mächtig beschäftigen Mischgewebesakkos und ansonsten allen Arten von Studentenoutfits. Primäre Fragen waren zu klären. Wo ist die nächste Toilette…und wo gibts Bier?

Im weiteren Verlauf lernte ich, dass man sich auf eine Messe gefälligst vorbereitet. Unsere Gruppe bestand aus Germanisten und Philosophen im zigsten Semester, einem Fast-Hydrologen, zwei Musikern, einem Lehramtsprachgenie und einem Taxifahrer. Nämlich mir. Allesamt versuchten wir mühsam, die Aufschriften einer Infotafel zu fokussieren.

Die Mischung erwies sich als wahrhaft explosiv, denn so wenig Vorstellungen wir von unseren Messeinteressen hatten, so schnell entwickelten sich welche und sprengten die Versammlung fast augenblicklich. Die Philosophen strebten langbeinig dem Stand mit den dicksten Wälzern zu, die ich je gesehen hatte, die Musiker stürmten einen Notenverlag, die Germanisten lösten sich quasi sofort in Bücher auf und der Hydrologe verschwand auf dem Klo. Kaum dass wir noch einen Treffpunkt für die Mittagspause vereinbaren konnten.

Und so stand ich dann, ich armer Tor und bewegte mich dann doch. Interessant war es ja auf jeden Fall. Ich lernte schnell, warum man Blindbände nicht bewachen muss, dass sich das Katalogsammeln nun überhaupt nicht lohnt, dass nicht jeder, der an einem Stand etwas signiert, ein Schriftsteller ist, dass Übersetzer aber sowas von mies bezahlt werden, dass Schnittchenteller, obwohl sie offen herumstehen, nicht immer für die schnöde Allgemeinheit gedacht sind und dass man einen Menschen in dunklem Pulli zum Knautschbraunjackett, der einen leicht stirnrunzelnd ansieht, besser einen Tick unterwürfig grüßt, auch wenn man ihn gar nicht erkannt hat. Meistens gehts ihm hinterher besser und das ist ja auch mal was.

Ich fürchte nur, gelesen hab ich auf dieser Messe gar nichts, zumindest kein Buch. Außer ein paar Sätzen in Verlagsprogrammen und Ankündigungen, die auch aus der Radiowerbung hätten stammen können, blieb nicht viel haften. Ich spezialisierte mich auf Klappentexte, lauschte dem Klang von Titeln hinterher, fahndete nach ersten und letzten Sätzen und war ansonsten verdammt neidisch. Denn eines merkte man den Leuten an…sie waren alle sehr gut ausgeschlafen. Nun, es war der erste publikumsoffene Tag der Messe und sicher würde sich bei vielen noch das berühmte Schlafdefizit einstellen, mit dem sie noch nach Jahren herumprahlen, aber mir wurde schlagartig klar, dass der Beruf des Schreibers oder der des Lesers, des Verbesserers oder Verlegers mitnichten ein sehr anstrengender ist, dass man meistens ausschlafen kann, höchstens Rückenschmerzen vom Sitzen bekommt, vielleicht beizeiten eine Brille braucht, aber ansonsten seinen Job bis ins hohe Alter ausüben kann, was den Zwang zum Erfolg weniger drückend macht, da man ihn auf unbestimmte Zeit vertagt.

Und sind wird doch ehrlich: In welchem Job kann man so wenig Kohle machen und dennoch eine gesellschaftliche Reputation genießen, die kein Vorstandsvorsitzender je erreicht?

Also, ich bin gespannt auf die Frankfurter Messe. Da es dort richtig um Geld geht, müssten sich die großen Spieler die Klinke vor den Latz hauen. Das könnte lustig werden.

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