Sonntag, 06.12.2015 | 20:09 Uhr
Autor: oliverg
Oliver Gassner:
Hallo Chris, 2015 war ja ein Stressjahr für dich, publizistisch: Das „Animalikon“ mit Bildern von deinem Mann Ralf Staiger und kurzen Notaten von Dir zu den dort abgebildeten Tieren, „Kaspar und die verschwundene Riechkugel“, ein reich illustrierter Kinderkrimi zur Zeit des Konstanzer Konzils und jetzt auch noch “Kalypsos Liebe zum kalten Seerhein“, ein weiterer Bodensee-Konstanz-Figuren-Roman. Wie schafft man das alles?
Chris Inken Soppa:
Man arbeitet viel am Wochenende. Einmal pro Woche gemeinsam in die Weinstube zum Ideenfinden, und Laufen und Schwimmen im Kalten. Das klärt den Kopf.
Oliver Gassner:
Aber 2016 gehst du es ruhiger an, oder powern Ralf Staiger und du jetzt weiter mit einem zweiten Kaspar-Band, so lange der Konzil-Hype anhält?
Chris Inken Soppa:
Spaß und Ideen hätten wir. Vielleicht gar zu Els, dem gleichaltrigen Mädchen, das Kaspar hilft. Die beiden könnten die Kaufleute nach Aragon begleiten … inklusive Piraten, Raubrittern, Korallen und Safran, Schatztruhen und vielen Abenteuern. Ein Thema, das auch übers Konzil hinausreichen würde. Vielleicht haben die jungen und alten Leser ja Lust auf einen zweiten Teil.
Oliver Gassner:
Wie ist denn bisher das Feedback zum „Kaspar“. Das ist ja schon ein sehr untypisches Kinderbuch, wenn man sich Textmenge und Illustrationsmenge so ansieht. Und ich habe ja auch mitbekommen, wie detailversessen ihr recherchiert habt.
Chris Inken Soppa:
Ich denke, man muss es sehen, in der Hand halten, dann erst nimmt man die schöne Machart und die Illustrationen so richtig wahr. Bei Lesungen reagieren Kinder wie Eltern begeistert, weil sie spannende Sachen im Buch entdecken können. Wer weiß denn schon, was eine Riechkugel überhaupt ist? Oder ein Donnergugi? Oder, dass es in Konstanz eine “Mordergasse” gab? Die Kids sollten aber älter als acht Jahre sein. Neulich im Archäologischen Landesmuseum kam ein Junge zu uns, acht oder neun, der sagte, er sei eine echte Leseratte und wollte das Buch unbedingt kaufen.
Recherchiert haben wir tatsächlich sehr viel und dabei unsere Stadt noch mal ganz neu kennengelernt. Wir waren sogar im Konstanzer Stadtarchiv, um in den Steuerlisten von 1418 zu blättern. Die existieren noch.
Oliver Gassner:
Aber lass uns in den kalten Seerhein steigen. In deinen früheren Romanen „Ring der Narren“ und „Unter Wasser“ gab es ja immer auch Frauenfiguren, die standen aber nicht so im Mittelpunkt wie jetzt die Figur Niks in der „Kalypso“. War das eine bewusste Entscheidung, sich diesmal auf eine Einzelfigur, und dazu eine weibliche zu konzentrieren?
Chris Inken Soppa:
Beim Bad im Seerhein hab ich immer wieder eine ältere Dame gesehen, die wie Niks aussah. Ich sprach sie allerdings nie an … allein ihre Erscheinung inspirierte mich, mir einen Namen, eine Biographie und eine Geschichte für sie auszudenken. Daraus entstand dann „Kalypsos Liebe zum kalten Seerhein“.
Oliver Gassner:
Ja, im Gegenteil zu deinen sonstigen zentral-Figuren ist mir diesmal auch aufgefallen, dass du nach den „Jüngeren und Gleichaltrigen“ jetzt eher eine „kranke Alte“ in den Mittelpunkt stellst. War es schwierig, diese Figur so anzulegen?
Chris Inken Soppa:
Nun, krank ist sie ja erst mal nicht … sie erfährt erst im Lauf der Geschichte, dass sie einen Herzfehler hat, das ist durchaus metaphorisch zu sehen. Sie ist eine robuste Alleinstehende, die immer für sich selbst sorgen musste. Sie hat einen freundlichen Bezug zur Welt, sich aber meist aus allem rausgehalten.
Die Figur entwickelte sich beim Schreiben. Seite für Seite hab ich mehr erfahren über Niks. Sie ist ein sehr starker, selbständiger Charakter … selbst als ihre Erschafferin fand ich es zuweilen schwer, sie im Zaum zu halten.
Oliver Gassner:
Lass mich kurz die Story rekapitulieren: Niks ist eine allein lebende, kürzlich pensionierte Frau mit Herzfehler, die die Angewohnheit hat, zu jeder Jahreszeit im Seerhein zu baden. Wir erleben sie im Roman im Beziehungsgeflecht zu früheren Kolleginnen, der Frau ihres kürzlich verstorbenen Chefs und Ex-Lovers und zum Sohn einer Ex-Kollegin, den diese halb zwangsweise bei ihr einquartiert. Sie war – wie du – früher beim Regionalfunk, Du allerdings beim TV, sie beim Radio. Hatte dieser gemeinsame Background eine Hilfsfunktion, um dich näher an die Figur zu bringen?
Chris Inken Soppa:
Eigentlich bin ich auch eine Radiofrau. Habe dort bei verschiedenen Sendern als Nachrichtenredakteurin gearbeitet, genau wie Niks. Den Beruf für sie wählte ich, weil ich ihn kenne und er gut zu ihr passt. Man muss sehr schnell und selbständig arbeiten bei den Nachrichten – und man trifft auch viele schräge Vögel dort.
Oliver Gassner:
Ohne jetzt zu sehr ins Literarisch-Kategoristische zu gehen fallen mir ein paar Dinge auf: Der Anklang an Joyce, der ja auch die griechische Sage – besser: das Epos – als Romanstruktur verwendet und die Überlegung, dass das Ganze ja vielleicht eher eine Novelle ist, als ein Roman, weil sich der Text doch eher um das “unerhörte Ereignis” rankt, das man im ganzen Text kommen sieht, das wir hier aber natürlich nicht verraten. Was waren deine, sagen wir: narrativen, Ansätze bei dem Text?
Chris Inken Soppa:
Ja, Kalypso ist eben die Meernymphe, die den Helden bei sich aufnimmt und ihn nicht wieder gehen lassen will. Es gibt auch ein sehr schönes Lied von Suzanne Vega dazu, das hat mich über die Jahre immer begleitet. Und die griechischen Helden- und Göttersagen las ich als Kind schon gern, Joyces „Ulysses“ später, als ich in Dublin lebte. All das floss ein beim Schreiben, ohne, dass ich mir große Gedanken über die Kategorien gemacht hätte.
Oliver Gassner:
Alter und Jugend, Paare und Liebschaften, Familie und Freiheit so könnte man ja das thematische Feld und dessen Pole abstecken. Niks, die sich primär bei den verheirateten Männern bedient und jede Bindung scheut, ihr junger Gast, der sich auf dem Weg in die Freiheit weder bei ihr noch in seiner Clique richtig heimisch fühlt und eine ganze Phalanx von Nebenfiguren, bei denen im Leben nichts so zu laufen scheint, wie es soll. Ist das Leben, wie John Lennon einmal gesagt hat, ohnehin das, was passiert, während wir andere Pläne machen? Und lässt sich bei solchen Lebenserfahrungen im Roman überhaupt noch irgend ein großer Plan skizzieren? Sind deswegen Krimis so beliebt, weil man da wenigstens noch eine Art Auflösung der Konflikte modellieren kann? Das waren so Gedanken, zu denen mich das Buch angeregt hat.
Chris Inken Soppa:
Möglicherweise. Im Krimi siegt ja meist das Gute über das Böse. Oder wenigstens gibt’s eine Auflösung. Aber die Charaktere sind dort oft eher uneigenständig, da sie innerhalb des Plots eine Funktion erfüllen müssen. Bei „Kalypso“ ist das genau umgekehrt. Niks versucht, wie wir alle, ihr Leben in den Griff zu kriegen. Ob sie dabei erfolgreich ist oder scheitert, das hängt davon ab, wie der Leser es liest. Das find ich interessanter als den großen Plan, den es vermutlich ohnehin nicht gibt. Da hat John Lennon wohl recht.
Oliver Gassner:
Wie ich dich kenne, arbeitest du schon am nächsten Text. Was außer einem “Kaspar reloaded” können wir aus deiner Tastatur demnächst erwarten, gibst du uns eine Sneak Preview?
Chris Inken Soppa:
Derzeit sitze ich an meiner ersten Übersetzungsarbeit vom Englischen ins Deutsche. „Rock Garden“ des irischen Schriftstellers Leo Daly handelt vom Leben auf den Aran-Inseln im Westen Irlands. Wenn alles gut geht, wird es 2017 bei edition karo erscheinen.
Oliver Gassner:
Dann sind wir mal gespannt, danke für das Gespräch :).
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