Mittwoch, 15.06.2016 | 09:55 Uhr
Autor: rwmoos
Neues vom Lauterbach-Laubenvogel
oder
Was ist der Gegen-Satz zu Philosophie?
Ich habe mich schon oft gefragt, warum Leute, die in wissenschaftlicher Hinsicht exzellente Denkleistungen vorweisen können, derart luschig mit religiösen Fragestellungen umgehen. So á la: Die Gottesfrage überlasse ich den Theologen. Mit dieser Prämisse kann man dann einerseits an Bosonen forschen, andererseits katholische (oder anderweitige) Frömmigkeiten praktizieren.
In seinem Buch „Das All und Wir“ versucht Jürgen Rainer Schneider eine Philosophie zu entwickeln, die die derzeitigen wissenschaftlichen Errungenschaften einbezieht. Kein leichtes Unterfangen – gewiss. Dennoch bleibt das Ergebnis noch hinter den Erwartungen zurück.
Dies liegt zum Einen daran, dass auch dieser Autor an einer Sehnsucht nach Gott krankt. Allein die Sprache, die ich hier einmal „frömmelnd“ nennen möchte, entlarvt diese verstimmende Absicht bezeiten: Schon im Vorwort auf S. 7 wird die begrenzte Erkenntnisfähigkeit auf das bezogen „was uns OFFENBAR werden kann“. Klar, solche Sprache kann auch metaphorisch gemeint sein und darauf wird sich der Autor auch berufen. Doch die Hartnäckigkeit derartiger sprachlicher Frömmigkeit zieht sich derart penetrant selbst durch rein fachliche Passagen, dass sie nicht mehr entschuldigt werden kann – und auch nicht muss.
Aber auch die Erkenntnismethode an sich scheint anfragbar: Dem Menschen stünden „mit seinem Geist UND SEINEM GEFÜHL zwei wirksame Werkzeuge“ (S. 32 – Hervorhebung von mir) der Erkenntnisfähigkeit, die als solche explizit auch Täuschungen entlarven können, zu Gebote. Bricht sich hier die Philosophie der Spinnstube Bahn, wie man sie aus diversen Feuilletons und Manager-Schulungen in Artikeln wie „Hören Sie auf Ihr Bauch-Gefühl“ kennt, welchselbige auch vernünftig planende Menschen in Wirtschaft und Rest-Kultur immer wieder in die Verzweiflung treibt? Nun kann man natürlich, wie einige Gehirnforscher das tun, mit dem Bauchgefühl lediglich jene Schnell-Entscheidungsfähigkeit umschreiben, die unser Gehirn in anderen Regionen angelegt hat, als die abwägenden Entscheidungen. Es geht dabei um zwei ökonomisch unterschiedlich angelegte Entscheidungsfindungen, NICHT aber um einen Gegensatz von einerseits erkenntnistheoretisch sauber erarbeiteter und andererseits lediglich gefühlter Wahrheiten! Man staunt, dass der Autor solche Studien sogar einarbeitet (S. 241). Aber deren Erkenntnis trifft eben nicht auf seine Definition zu. Denn schon wenige Seiten später (S. 244), in der Zusammenfassung seiner Ansichten, betont der Autor noch einmal die beiden Säulen Geist UND Gefühl (Hervorhebung im Original) als Quellen der Bildung und Erkenntnis. Also eben nicht etwa abwägendes Nachdenken und schnelle Entschlussfassung.
Als Paradebeispiel der so zusammengefügten Erkenntnis mag folgende Sequenz dienen (S. 61): „Es ist nicht nachvollziehbar, dass diese … Vorgänge [genetischer Weitergabe der Erbinformationen] aus einer Kette von Zufällen sich auf so wunderbare Weise entwickelt haben. Viel naheliegender ist es, dahinter eine planende und gestaltende, nach den Grundsätzen der Vernunft vorgehende Kraft zu vermuten.“ Da meint man doch fast schon einen amerikanischen Erweckungsprediger zu hören.
Das Wesen wissenschaftlicher geistiger Erkenntnis ist aber ihre Nachprüfbarkeit auch für andere. Gefühlte Erkenntnis dagegen wird ihren religiösen Dunstkreis nie ablegen können. An die muss man halt einfach glauben. Man kann es aber auch lassen.
Natürlich weist der Autor selbst jegliche Religiosität verbal von sich und fragt Religion an sich mit wenigen, gelegentlich sogar guten, Argumenten an. Wobei er leichte Schwächen für den Buddhismus nicht ganz zu leugnen vermag.
Letztlich führt er aber Gott, natürlich nicht unter diesem Namen, da dieser schon lang ins Fabelbuch geschrieben ist, hintenherum wieder in die philosophische Denkweise ein, selbige damit auf Null entwertend. Bei ihm heißt Gott in Hegelscher Manier wahlweise „Geist“ oder „Weltgeist“, gern auch „Die Schöpfung“ oder „Kosmische Kraft“. Meint aber alles dasselbe.
Allerdings mit dem Unterschied, dass er dieser Kraft eine Zuwendung zum Menschen abspricht. Theologisch postuliert er damit einen Deus absconditus* – und das ist nun wirklich nichts Neues. Die daraus gezogenen Schlussfolgerungen für die Ethik sind denn auch klassisch – aber dazu später.
Diese gewählte Erkenntnismethode hat System: So nämlich kann man bequem Naturgesetze unter quasi Meta-Gesetze stellen. Die persönliche Metaphysik des Autors erfüllt denn auch die Erwartungen.
Für nichts weniger als das das ganze All stellt er folgende Sätze auf, in die er sein Werk auch aufteilt:
a) Satz vom Wissen: Erkenntnis ist möglich, immer beschränkt, aber auch immer erweiterbar. Diese Erweiterung führt aber (ein Bild Pascals bemühend) wie eine sich vergrößernde Kugel auch zu immer größeren Berührungsflächen mit dem (noch) nicht Erkennbaren.
b) Satz vom Werden: Alles ist aus Nichts geworden. Wobei nicht erkennbar ist, was „Nichts“ war. Als Option sind Parallel-Universen, auch meta-zeitlich versetzte, denkbar.
c) Satz vom Wandel: Variationen zum altbekannten „Panta Rhei“**)
d) Satz vom Gegensatz: Zu allem gibt es ein Gegenteil.
Und e) Satz von der Vielfalt: In Materie, Leben und Kultur gibt es einen Trend, Einfalt in Vielfalt zu diversifizieren.
Dabei hat der Satz vom Gegensatz eine gewisse Grundstellung, auf die die anderen Sätze aufbauen. Der Autor nennt ihn das „geistige Grundgesetz des Universums“.
Noch einmal: Das sind nicht etwa beschreibende Kategorien, mit denen der Autor das Sein zu ordnen versucht. Nein. Für ihn sind es Grund-Sätze, denen sogar die allseits beliebten Naturgesetze sich fügen. Diese sind quasi nur Sub-Gesetze unter jenen vom Autor gefundenen Welt-Regeln.
Es wirkt auf mich fast peinlich, dass einem Philosophen die Grundeinsicht in die sprachliche Willkürlichkeit solcher Sätze offenbar völlig abgeht.
Nehmen wir nur diesen Satz vom Gegensatz und wenden ihn auf das erste vom Autor benutzte Beispiel an: Tag und Nacht. Was Tag ist und was Nacht, sind doch rein vom Menschen festgelegte Kategorien! Und auch Menschen untereinander sind sich darüber nicht einmal ansatzweise einig.
Natürlich gibt es „Tag und Nacht, Hitze und Kälte, groß und klein“ und so weiter, doch sind dies ja keineswegs tatsächliche objektive Gegensätze sondern sprachliche Mittel zu Beschreibung unserer jeweils unmittelbaren Umwelt. Auch stimmt keineswegs, dass dies „nicht zu einer Einheit zusammenführbare Gegebenheiten“ seien. Tag und Nacht sind so auch unter „Tag“ schon subsummierbar, ebenso „Hitze und Kälte“ unter „Temperatur“. Ganz abgesehen von der Relativität der Attribute und deren Übergangsmodalitäten.
Auch für das postulierte Gegensatzpaar „männlich und weiblich“ wären da Bücher an Debatten zu füllen, die der Autor, wie sich reichlich später herausstellt, durchaus zur Kenntnis genommen hat – nämlich da, wo er seinen Satz der Vielfalt ausführt.
Nachdem dann diverse Autoritäten und Mythen zur Begründung der eigenen Meinung ins Feld geführt werden, gibt sich der Autor einem seiner offenbar wichtigsten Punkt hin: Krieg und Frieden als unverzichtbare Bestandteile unserer Existenz zu postulieren. „Die Schöpfung“ verfolgt bei ihm ein Ziel: eine Überbevölkerung der Erde zu vermeiden (deshalb Krieg). Neben Menschlichkeit gibt es Unmenschlichkeit – das wäre dem Satz vom Gegensatz geschuldet (S. 128) Deshalb „schuf die Schöpfung neben dem anständigen Menschen“ auch … den Unanständigen, der „im Verlauf seines Lebens seine Menschlichkeit verliert“ (ebenda).
Diese Beispiele sollen genügen, um klar zu machen, dass auch die davon abhängigen Sätze auf ebenso dünnem Eis havarieren.
Am Schluss versucht der Autor, aus dem Ganzen noch eine Ethik zu zimmern. Auch diese krankt von vornherein an der frömmelnden Sprache: Wird vom Autor zwar klar eine religiös begründete Moral abgelehnt (z.B. S. 235), so muss er sich fragen lassen, wie Wendungen zu verstehen sind wie: „Wir sind aufgefordert …“, dem Menschen sei „auch aufgegeben …“ bzw. „Der Mensch ist dazu aufgerufen …“ Da stellt sich die Frage: Von wem aufgerufen / aufgefordert / aufgegeben? Auch sei dem Menschen „das Vermögen gegeben“ Wiederum: Von wem oder was?
Die Antwort kann lauten: Von Gott (oder einem seiner hundert Namen wie „Schöpfung“ oder „Urkraft des Universums“ oder „Weltgeist“)? Oder, wie so oft wenn sich Menschen entweder auf Gott berufen oder wahlweise ihn auch leugnen, jedenfalls andere Autoritäten ablehnen: Vom Autor höchstselbst. Da die meisten, die sich auf eine Gottheit berufen, diese zu erkennen vorgeben, und ihre Aussagen demzufolge ohnehin als diejenigen Gottes zu verstehen sind, kommt das alles aber ohnehin auf dasselbe hinaus: Aufstellen der eigenen Meinung als absoluter Wahrheit.
Eine atheistische oder besser: eine humanistische Ethik zu entwickeln, wäre dagegen sehr schwierig, ist aber durchaus möglich. Dem Autor kann es schon aufgrund seiner deistischen Tendenzen unmöglich gelingen.
Trotz allem ist es durchaus gewinnbringend, sich durch das Buch durchzuarbeiten. Einmal bedeutet es heutzutage schon einen gewisser Komfort, ein gut lektiertes und kaum Druckfehler enthaltendes Werk in den Händen zu halten. Dazu gibt es hie und da sogar ein wenig sprachliche Brillanz. Mein Lieblingssatz: „Und der Lauterbach-Laubenvogel umwirbt sein Weibchen besonders artig.“ Soweit zur reinen Form.
Allein der große Wissensschatz des Autors nötigt Respekt ab. Noch mehr aber sein Versuch, diese Wissensgebiete in eine Übereinstimmung zu bringen, sie aufeinander zu beziehen. Hin und wieder verliert er sich dabei leider in reine Aufzählungen, deren Systematik-Bestrebungen auch nicht immer sinnvoll sind – am deutlichsten bei dem Versuch, religiöse Vielfalt in eine Art Schott’s Miscallany*** zu bringen. Auch referiert er hier und da gern über Teilgebiete deren Kenntnis sich bei ihm offenbar auf unvollkommen verstandene bzw. noch recht dürftige Wikipedia-Artikel beschränkt. Stellvertretend für viele weitere seien nur mal die Abschnitte über Brechscheren-Gebisse bei Säugetieren und die Eschatologie Jesu im Islam**** erwähnt.
Dafür ist er aber immer up to date, auch was die aktuellen Diskussionen im jeweiligen Fachgebiet betrifft.
Im Ganzen wünscht man dem Autor, sich von seinem idealistischen Ansatz zu verabschieden. Zwar müsste dann sein Buch völlig, aber auch wirklich völlig umgeschrieben werden. Dann aber könnte es ein richtig gutes Buch werden.
*Deus absconditus: der nicht erkennbare Gott (außer mit ein paar Abstrichen natürlich von demjenigen, der gerade dies postuliert)
** „Alles fließt“. Ein Ausspruch, der Heraklit zugeschrieben wird
*** „Schotts Sammelsurium“ sind Listen von Dingen unnötigen Wissens, deren Herausgabe die Bücher des englischen Autors Ben Schott, zu Bestsellern werden ließ.
**** Ein „Brechscherengebiss“ haben bei weitem nicht alle Raubtiere, sondern nur spezielle Knochen-Knacker wie z.B. die Hyänen. Löwen z.B. können Knochen nur punktieren, nicht knacken.
Laut Koran und islamischer Standard-Lehre muss Jesus nicht erst in der Endzeit „zum Islam konvertieren“ da er als Prophet Allahs schon immer den rechten Glauben hatte.
Reinhard W. Moosdorf
Tüchersfeld, den 15.06.2016
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Tags: Wissenschaft Religion
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