Mittwoch, 15.02.2006 | 21:27 Uhr
Autor: Andreas Schröter
Na ja – müsste man diesem Buch eine Zensur geben, so erhielte Joseph Kanons „Stadt ohne Gedächtnis“ vielleicht eine drei minus. Der 510-Seiten-Wälzer fängt recht vielversprechend an: Im Venedig des Jahres 1946 versucht ein Mann zu verhindern, dass seine Mutter einen vermeintlichen ehemaligen Nazi-Kollaborateur heiratet – einen Arzt, der zur Oberschicht Venedigs gehört. Daraus hätte sich viel entwickeln können. Über die Rolle italienischer Oberschichten in der Nazi-Zeit, über Schuldfragen und und und.
Tut es aber nur bedingt. Ein Mord geschieht, und ab da verläuft die Handlung in mehr oder weniger eingefahreren Krimi-Bahnen. Die Täter versuchen, der Polizei zu entkommen, und es gibt ein bisschen Hin und Her um die Rolle besagten Arztes. War er wirklich der böse Nazi-Helfer oder doch eher ein Wohltäter der Menschheit? Das alles dehnt sich etwas. Das Buch tritt über viele Seiten auf der Stelle, ohne dass sich neue Handlungs-Aspekte ergeben würden. Folglich kommt vergleichsweise wenig Spannung auf. Das Ende, der Showdown, wirkt konstruiert.
Gewöhnungsbedürftig ist zudem Kanons Stil, der ein wenig dialoglastig wirkt. Manchmal droht der Leser den Überblick zu verlieren, wer nun gerade was sagt.
Positiv dagegen ist die atmosphärische Dichte. Wer die italienische Lagunenstadt mag, wird an diesem Buch seine Freude haben, auch wenn es mit Donna Leon eine weitere Krimi-Autorin gibt, die ihre Geschichten in Venedig spielen lässt.
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