Dienstag, 22.05.2012 | 17:39 Uhr

Autor: Andreas Schröter

Jennifer Egan: Der größere Teil der Welt

Jennifer Egan: »Der größere Teil der Welt«Auf einhellige Begeisterung in deutschen Feuilletons stößt derzeit Jennifer Egans Musiker-Roman und Pulitzer-Preis-Träger von 2011 „Der größere Teil der Welt“.

Und in der Tat finden sich vor allem im ersten Teil des 390-Seiten-Werks viele Stellen, die psychologisch überaus stimmig sind – zum Beispiel wenn es um die Beschreibung von Sashas Sucht – sie ist Kleptomanin -, oder die Impotenzsorgen des Musikproduzenten Bennie geht. Das ist amüsante, kurzweilige und intelligente Unterhaltung. Auf den ersten 50 bis 100 Seiten glaubt man wirklich, einen grandiosen Roman in den Händen zu halten.

Doch der Eindruck verwässert sich mit zunehmender Seitenzahl. Immer mehr Figuren tauchen auf, jedes Kapitel ist aus einer anderen Sicht geschrieben, der Roman springt wild durch die Jahrzehnte, so dass der Leser kaum eine Chance hat, den Überblick zu behalten, geschweige denn auch nur zu wissen, in wessen Kopf er sich gerade befindet. Die einzelnen Kapitel, die mal in der dritten, mal in der ersten Person geschrieben sind, haben kaum Zusammenhalt. Fast könnte man davon sprechen, dass „Der größere Teil der Welt“ eher eine Sammlung von Erzählungen als ein Roman ist. Und so ist es auch gar nicht so einfach zu sagen, worum es überhaupt geht. Neben der Kleptomanin und dem Produzenten treffen wir einen abgehalfterten Rockmusiker, der mit seiner letzten Tournee seinen Selbstmord plant, einen Journalisten, der versucht, seine Interviewpartnerin zu vergewaltigen, oder einen alternden Musiker, der sich von seiner um 20 Jahre jüngeren Freundin bei einem Konzert in aller Öffentlichkeit oral befriedigen lässt.

Das alles könnte man noch unter „ganz originell“ verbuchen, doch dann geht die 1962 geborene amerikanische Autorin dazu über, ein ganzes Kapitel in der 2. Person zu erzählen („Deine Freunde bilden sich ein …“) oder eine 70-seitige (!) Power-Point-Präsentation über die besten Pausen in Popsongs einzuschieben. Das kann man dann als moderne Form des epischen Erzählens bewundern, wie es ein Rezensent der „Tageszeitung“ tut, man kann es aber auch schlicht prätentiös oder überambitioniert nennen. Insgesamt nur bedingt empfehlenswert.
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Jennifer Egan: Der größere Teil der Welt.
Schöffling, Februar 2012.
392 Seiten, Gebundene Ausgabe, 22,95 Euro.

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