Sonntag, 03.05.2009 | 21:03 Uhr
Autor: Andreas Schröter
Nach zwei Romanen von John O’Hara hat der C.H. Beck-Verlag nun einen weiteren Klassiker der modernen amerikanischen Literatur neu herausgebracht: „Ein Todesfall in der Familie“ von James Agee aus dem Jahre 1957. Es geht um eine Familie in Knoxville, Tennessee, die den plötzlichen Autounfalltod des Vaters verkraften muss.
Herausragend an diesem Buch ist, wie genau und psychologisch stimmig Agee die Gefühlsregungen jedes einzelnen Familienmitglieds herausarbeitet, ohne dabei weinerlich oder sentimental zu werden oder sich in Klischees oder Allgemeinplätzen zu ergehen. Zentrale Figur ist der sechsjährige Rufus, der mit seinem Vater am Abend vor dessen Unfallfahrt ins Kino geht und eine große Sympathie für ihn empfindet. Nach dem Tod des Vaters zerfließt Rufus jedoch nicht in Tränen, sondern versucht aus der Situation Kapital zu schlagen: Gegenüber den anderen Jungen in Knoxville hat er nun etwas, das ihm Respekt einbringt – das sonst niemand anderes erlebt hat. Der Autor verarbeitet mit diesem Buch auch selbst Erlebtes: Als James Agee sechs Jahre alt war, verunglückte sein Vater Hugh James Agee ebenfalls bei einem Autounfall tödlich.
Das Positive an diesem Buch ist zugleich das Negative: Der Roman schreitet nur sehr langsam voran, weil Agee dem Innenleben seiner Figuren einen solch breiten Raum gibt. Handlung gibt es so gut wie keine. Überdies entwickelt sich das Thema „Tod und Trauer“ zum harten Lesebrocken, wenn es sich über hunderte von Seiten erstreckt. Eine gewisse Zähigkeit ist die Folge, die dem Leser einiges an Durchhaltevermögen abverlangt.
Erwähnenswert ist die Einleitung, die auf wenigen Seiten ein atmosphärisch äußerst dichtes Stimmungsbild des Städtchens Knoxville im Jahre 1915 entwirft. Diese Passage ist von geradezu poetischer Schönheit.
Ein Subthema in „Ein Todesfall für eine Familie“ ist Kritik an Kirche und Frömmigkeit. So verweigert der Pastor dem toten Familienvater einen Teil seiner Gebete, weil dieser nicht getauft ist. Einige Familienmitglieder ärgern sich über die ergebene Gottes-Fürchtigkeit der Ehefrau des Toten, Mary.
James Agee (geb. 1909), der auch als Journalist, Drehbuchautor und Filmkritiker arbeitete, erlebte die Veröffentlichung seines Buches nicht mehr. Er starb 1955 nur 45-jährig an einem Herzinfarkt. „Ein Todesfall in der Familie“ war damals noch unvollendet. So war den Herausgebern unter anderem nicht klar, an welchen Stellen der Autor zwei längere Sequenzen einpassen wollte, die nicht zur erzählten Zeit der Geschichte gehörten. Sie haben diese Stellen im Buch in Kursivschrift gesetzt, so dass der Leser sie sofort vom übrigen Text unterscheiden kann.
Fazit: Einen großen Wert dürfte das Buch für alle Leser haben, die selbst gerade einen Trauerfall zu verkraften haben. Für alle anderen ist dieser Text ein harter Brocken, dessen literarische Qualität jedoch unbestritten bleibt.
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James Agee: Ein Todesfall in der Familie (1957).
Beck, Februar 2009.
399 Seiten, Hardcover, 19,90 Euro.
Tags: Literatur
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11.05.2009 um 23:38 Uhr
Ein großartiges Buch!!