Dienstag, 23.08.2016 | 19:03 Uhr
Autor: Ilka Sundermann
In den ersten beiden Bänden der als Trilogie angelegten Geschichte schreibt der japanische Schriftsteller Haruki Murakami in seinem über 1000 Seiten starken Werk über die phantastische Welt von „1Q84“. Die Handlung spielt in der Realität Japans der 80er Jahre und gleichzeitig in der mystischen Welt „1Q84“. Die reale und surreale Welt finden parallel statt. Diese Parallelwelten gekonnt in Szene zu setzen und sie geschickt miteinander zu verweben macht die Erzählkunst Murakamis aus.
Murakami beschreibt in den ersten Kapiteln seines Romans zunächst die Lebenssituation der Protagonisten Aomane und Tengo. Kapitelweise führt er den Leser abwechselnd in Tengos und Aomames Welt ein. Die beiden kannten sich schon als Schüler und haben sich seitdem nicht vergessen. Als Aomame und Tengo zehn Jahre alt waren, hat Aomane in der Schule plötzlich und unerwartet Tengos Hand gehalten und tief in seine Augen gesehen, ein schicksalhafter Moment, der das weitere Leben der beiden bestimmen sollte. Auch wenn sie sich seither nie mehr gesehen haben, hoffen sie, dass sich ihre Lebenslinien irgendwo wieder schneiden werden. In dem Glauben, dass ihr Wunsch in Erfüllung gehen wird, lassen sich beide auf keine partnerschaftlichen Beziehungen ein, sondern suchen nur kurzfristige sexuelle Abenteuer.
Fitnesstrainerin und Auftragskillerin Aomane steigt mitten im Tokioter Berufsverkehr aus einem Taxi, weil sie einen wichtigen Termin nicht verpassen will. Um von der Stadtautobahn zu kommen, nimmt sie eine Rettungstreppe – und gelangt, ohne es zunächst zu merken, in eine Parallelwelt. Erst auf den zweiten Blick nimmt sie kleine Veränderungen wahr. Die Polizisten tragen andere Uniformen, es gab einen Zwischenfall mit einer Sekte, von dem sie bislang noch nichts gehört hatte. Gerade rechtzeitig schafft sie es zu ihrem Termin. In einem Hotel tötet sie einen Mann, der seine Frau bestialisch gequält hat, ohne dass jemand etwas anderes als eine natürliche Todesursache feststellen wird, mit einem winzigen Nadelstich.
Schriftsteller und Mathematiklehrer Tengo erlebt ähnlich Sonderbares, als er den Auftrag annimmt, das verstörende Romandebüt „Die Puppe aus Luft“ der 17-jährigen Fukaeri zu lektorieren. Darin tauchen nicht nur die geisterhaften Wesen „Little People“ auf, sondern auch eine religiöse Sekte mit erschreckend brutalen Riten. Als das Buch ein Riesenerfolg wird, scheint die Geschichte plötzlich Wirklichkeit zu werden.
Tausend Seiten weiter haben sich Aomame und Tengo immer noch nicht gefunden, aber allerlei Bizarres erlebt. Am Ende des Buches steht Aomame wie zu Beginn auf der lauten Stadtautobahn. Am Ende bleibt offen, ob Aomane Selbstmord begangen hat oder über die Treppe zurück in die reale Welt gegangen ist. Viele Fragen bleiben offen. Welche Rolle spielen die ‚Little People‘ in der phantastischen Welt von ‚1Q84‘? Wie und warum gerieten Tengo und Aomane in diese Welt? Gibt es einen Weg zurück und vor allem werden sie einander finden?
Murakamis romantisch-phantastische Liebesgeschichte spielt in einer unheimlichen Welt, die von Gewalt, Verfolgung, Fanatismus und Isolation geprägt ist. Düster und geheimnisvoll und zugleich berührend. Die Darstellung der einzelnen Figuren macht das Werk lesenswert. Wahrscheinlich ist es der Kontrast zwischen der Darstellung der harten und brutalen äußeren Welt, Aomanes und Tengos fragil-sensiblen inneren Welt und die auch für den Leser spürbar gemachten inneren Verbundenheit der Romanhelden, welcher dem Werk seinen ganz besonderen Charme und seine romantische, aber nicht verklärte Aura verleiht.
Haruki Murakami: 1Q84
btb Verlag, Taschenbuchausgabe 2013
12,99 Euro
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