Donnerstag, 15.09.2011 | 13:12 Uhr

Autor: Theresa Brehm

Gary Shteyngart mit „Super Sad True Love Story“ auf dem Berliner Literaturfestival

„I thought that Russia would become more and more like America, but now it seems that the USA become more and more Russia”, sagt Gary Shteyngart auf der Bühne der Berliner Festspiele. Dabei verzieht er seine Mundwinkel zu einem bübischen Grinsen und erfreut sich am breiten Gekicher der Besucher des 11. Berliner Literaturfestivals. Angesichts des wirtschaftlichen und politischen Wankens der Supermacht USA, wirken solche ironisch zugespitzten Vergleiche eben erleichternd.

„Experte für zerbröselnde Weltmächte“

Wie Shteyngart so da sitzt, in seinem Karohemd, die Füße in trendigen Stoffturnschuhen, hat er tatsächlich etwas jungenhaftes, trotz schütteren Haars und schwarzer Literatenbrille. Vor allem neben Sigrid Löffler, die die Lesung seines neuesten Buches „Super Sad True Love Story“ am siebten Abend des Literaturfestival moderiert und neben ihm wie eine gestrenge Mutter nach literarischen Kategorisierungen für sein Oeuvre sucht. Als „Experte für zerbröselnde Weltmächte“ und als „einen der witzigsten literarischen Autoren der Jetztzeit“ stellt sie ihn vor.

Amerika und Russland sind die literarischen Reibeflächen des Autors, der mit sieben Jahren als Kind russischer Eltern in die USA emigrierte. Die Zerrissenheit zwischen zwei Identitäten und Kulturen hat Shteyngart bereits in seinen letzten Büchern, „Handbuch für russische Debütanten“ und „Snack Daddys abenteuerliche Reise“ in irrwitzige Plots gepackt. Dabei nahm der Autor das individuelle Emigrantenschicksal satirisch unter die Lupe und zeichnete zugleich ein Gesellschaftsgemälde, aufgefangen im Bild von Russland als „Absurdistan“.

Social Media verrät den „Fickfaktor“

In „Super Sad True Love Story“ stellt er nun Amerikas Zukunft dar. Die literarische  Vision fällt mehr als düster aus. Die USA haben sich von Wirtschaftkraft und Werten verabschiedet, sind ökonomisch von China abhängig und ein totalitärer Staat mit einem irren Kriegsminister an der Spitze. Social Media ist zum Überwachungsinstrument geworden, ganz in der Art, wie es in der öffentlichen Debatte vom gläsernen Menschen derzeit prognostiziert wird: Alle persönlichen Daten von der „Bonität“ bis zum „Fickfaktor“ sind jederzeit öffentlich abrufbar.

„Super Sad True Love Story“ spielt damit auf den Film „Love Story“ an und verkehrt seine Botschaft ins Gegenteil. Die Hollywoodschnulze par excellence aus den 70er Jahren, prognostizierte noch die ideale Liebe durch Krankheit und über den Tod hinaus. In der Liebesgeschichte Shteyngarts zwischen den Protagonisten Lenny und Eunice geht es vor allem um Selbstoptimierung und den Wettbewerb der Körper.

Absurditätenanhäufung und Witzwut

„Writing this book lowered my fuckability very much“, offenbart Gary Shteyngart am Ende der Lesung. Es sind diese ironischen, lakonisch hingeworfenen Aussagen, die die Lesungen des Autors amüsant und kurzweilig machen. Mag manchem die Absurditätenanhäufung und die Witzwut in seinen Büchern zu viel des Guten sein, hat der Mann doch enormen Erfolg mit seinem sehr speziellen Stil. Das beweisen wieder einmal die zahlreich erschienenen jungen Besucher auf der Berliner Lesung. Bröselt derzeit auch die Wirtschaftsmacht USA, amerikanische Literatur wird nicht so schnell an Einfluss verlieren. Anders als in Shteyngarts Buch – dort lesen in  Amerika nur noch Freaks in New York und Seattle Bücher.

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Gary Shteyngart: Super Sad True Love Story.
Rowohlt, Juli 2011
464 Seiten, Gebundene Ausgabe, 19,95 Euro

Parody in New York. Der überkandidelte Mr. Shteyngart in seinem Element:

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