Donnerstag, 04.08.2016 | 07:39 Uhr
Autor: rwmoos
Herr Müller, die verrückte Katze und Gott
Abgefahren gen Himmel
Um Bücher über das unendliche Spiel zwischen Gut und Böse zu schreiben, braucht man eine ganze Menge Neugier und Durchhaltevermögen. Schließlich muss man sich in die Feinheiten zumindest einer Religion einarbeiten, um das Ganze einigermaßen plausibel und kundennah daher kommen lassen zu können. Man braucht aber auch – und das halte ich für gar nicht mal so irrelevant – eine ganze Portion Glauben oder Gottvertrauen oder wie auch immer man das nennen will. Denn ohne dieses grundehrliche aber irgendwie auch fromme Hintergrundrauschen funktioniert das Ganze nicht. Dann würde die tiefsinnige Pointe zur schalen Slapstick-Nummer verkommen. Man konnte das schon seinerzeit an der Wirkungsgeschichte von Monty Pythons „Life of Brian“ studieren. Oder an Bulgakows „Der Meister und Margarita“. Oder an „Dogma“ – jenem köstlichen Treffer eines ansonsten eher glücklos agierenden Regisseurs.
Ewald Arenz hat dieser Literaturgattung nun, geklammert als Totenmesse, ein weiteres Werk hinzugefügt, in dem Nürnberg eine der irdischen Hauptrollen zugeteilt bekam. Neben vielen anderen Franken darf auch ein typologisches Fürther Exemplar mit dem arabisierten Namen Abu al-Wayar (er sollte besser Abu al-Wail heißen) in einer gar nicht mal unwichtigen Nebenrolle mitspielen, wobei wir die ihm zugedachten Eigenschaften hier mal als Weltoffenheit und Findigkeit titulieren möchten. Ein Franke findet ja immer einen Ausweg. Ob aus den Banden der Gesetze, der linguistischen zumal, aus dem Leben oder auch dem Über-Leben. Nur Franken bringen Gott dazu, wenngleich genervt, überhaupt hin und wieder zu erscheinen!
Der Gegenpol zu Abu al-Wayar wäre Pauline, eine Nürnbergerin, die im Laufe der Geschichte zur heimlichen Heiligen der Handynutzer mutiert. Und was die Katze im Titel anlangt – nun dazu muss man seinen Claude Lévi-Strauss hervorholen…
Um es gleich vorweg zu nehmen: Das Buch ist wunderbar zu lesen. Der Autor sprüht vor Einfällen und gegenseitigen Bezügen, wie es in deutscher Literatur nur selten vorkommt und hat auch seinen jüdisch-christlichen Engels-Pantheon drauf. Die paar Anleihen aus dem islamischen Himmel geraten weniger überzeugend, aber dafür wird der sowohl im Judentum als auch im Islam nicht ganz unbedeutende Azrael regelmäßig und gern in arabischen Lettern eingefügt. Á la: „Diese kleine Verbeugung gilt unseren islamischen Lesern!“
Da im Dunstbereich des Religiösen strenge Logik selten Sinn macht und nur intern, also unter der Voraussetzung der Anerkennung sämtlicher dogmatisch vorgeformter Prämissen, angewandt werden darf, wäre Kritik auch völlig fehl am Platz – so zum Beispiel wenn man monierte, dass, wenn Gott sich als Teil seiner eigenen Schöpfung durch die Erschaffung der Zeit selbst dem Alterungsprozess unterworfen hätte, selbiges dann ja umso mehr für seine Geschöpfe der diversen Ordnungen, also von Luzifer über Uriel bis zu Martin Luther gelten müsse. Oder dass die A6 auch bei diabolischster Fahrweise nicht an Bayreuth vorbei komme.
Derartig fehl geleiteter Krümelkackerei möchten wir hier nicht das Wort reden.
Warum erfreuen wir uns aber nun eigentlich an einem Erzengel, der in Stress-Situationen gerne zu Gin Tonic greift? Nur weil er dem derzeit grassierenden Whisky-Hype zu widerstehen vermag? Wohl eher doch, weil er uns so menschlicher, näher, greifbarer vorkommt. Und so gerät die aus den Fugen geratene Himmels-, Höllen- und Menschenwelt des Ewald Arenz uns so greifbar wie der alltägliche Wahnsinn in einem größeren Unternehmen oder gar einer bürokratischen Institution. Siemensianer wissen, wovon der Autor spricht. Und die Mitarbeiter des Bundesverteidigungsministeriums sowieso. Bei denen ist Gott ja ohnehin seit Längerem eine Frau, ohne dass dies die Gender-Debatte zu beflügeln vermochte. Der diesbezüglich nachgerade bösartige Seitenhieb des Autors in Form von Dürers weißem Reiter, sei ihm auch aus femininer Sicht gern nachgesehen, schon weil er ihn durch erlogene Schönheit zu kaschieren vermochte. Indes nämlich die Überwältigung der anderen Reiter in oben genannter interner Logik durchaus hinhaut, wäre diese Passage ansonsten ein auch intern logisch eher schwacher Moment im Buch.
Doch ich schweife ab: Warum, so sollte ich statt dessen weiter fragen, brauchen wir, ob alte Griechen oder moderne Schländer, solch menschelndes Pantheon?
Gut, es hält uns erstens einen Spiegel vor. Das hatten wir gerade.
Zweitens entrümpelt es den unsagbaren Kitsch, der seit ein paar Jahrzehnten die Esoterik-Literatur verkleistert. Das tut gut.
Beides zusammen aber übt ebendie Funktion aus, die die ersten Christen in ihren Religions-Gründungs-Überlegungen antrieb: Gott wurde bei ihnen Mensch. Er „entäußerte“ sich. (Ich liebe diese Wortschöpfung von Luther, der selbst leider kein Franke war, aber sowas Ähnliches.) Das feierten die Christen. Das feiern wir. Und so werden solche Bücher für uns zu Weihnachtsgeschenken und ihre Autoren zum wahlweise Heiligen Geist oder Weihnachtsmann.
Die jüdischen Theologen dagegen, die jenen Engels-Pantheon (mit Herrschaften, Gewalten, Seraphim und Cherubim, sowie Engeln und Erzengeln) zwischen -100 und +300 unserer Zeitrechnung entwickelten, arbeiteten in atheistischer Manier eher anders herum: Sie abstrahierten menschliche Denk- und Verhaltensweisen, um sie händelbar zu machen. In Ersterem, also was die Denkweisen anlangt, modernen Informatikern vergleichbar. In Letzterem, also was die Verhaltensweisen anlangt, modernen Psychologen und Verhaltensforschern zumindest streckenweise noch ein paar Nasenlängen voraus.
Damit schufen sie Programme, die denen, die sie zu nutzen vermögen, den Durchblick im Lebensgestrüpp erleichtern sollten, ihnen zumindest einen temporalen Gewinn, einen Vorsprung verschafften. Ihre jüdische Religion sollte dazu so etwas wie den Vorläufer moderner Hardware, also den Rechner, bilden. Dieses Projekt hat nur bedingt geklappt und wurde auch im Christentum, noch eher im Islam nur von wenigen Adepten und oft auch von diesen nur partiell erkannt und modifiziert. So gesehen waren respektive wären Religionen nicht der hirnzerfressende Kitsch, als den ihn heute jeder kennt oder zumindest kennen sollte, sondern Überlebens-Maschinen. Im Grunde völlig glaubensfrei.
Viele Leute benutzen die Ressourcen ihres Rechners nicht als Lebenshilfe, sondern nur für Computerspiele. Das Putzige: Gerade bei den Spielen ahnt man am ehesten etwas von den gewaltigen Kapazitäten dieses Produkts menschlichen Erfindungsgeistes. Allerdings nutzt man diese Kapazitäten dann nicht für die tatsächliche, sondern nur für eine virtuelle Welt, in die man sich … soll ich wirklich sagen „flüchtet“? Wäre es nicht besser, Worte wie „Erholung“ oder „Seelenfrieden“ einzubringen? Vom Paradies, gar vom Schangri-La zu sprechen?
Solange man Kriegsspiele nur auf dem Rechner zockt, mordet man, abgesehen von einigen drohnensteuernden Amis, nicht wirklich. Solange man betet, mordet man, abgesehen von einigen Islamisten, auch nicht. Es gab tatsächlich Leute, die haben biblische Highlights wie Psalm 137 („Wohl dem, der Deine Kinder nimmt und sie gegen einen Felsen schmettert“) deshalb als Friedenspsalm deklariert.
Doch ich schweife schon wieder ab…
Jedenfalls spielt Ewald Arenz mit seinem Buch auf dem Religions-Rechner ein sehr sympathisches Computer-Game. Das macht ihm (und uns) sichtlich Spaß. Und so lernt man seinen Rechner ja zumindest ein wenig kennen.
Und deshalb akzeptieren wir auch die virtuelle Pauline als Heilige aller Nerds. Ihr Attribut? Na, was wohl!
Grenzhammer, den 02. August 2016
Reinhard W. Moosdorf
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