Mittwoch, 08.02.2006 | 07:38 Uhr

Autor: Oliver Gassner

Die Schriftstellerin Karin Struck ist tot

Klassenliebe.(pm) Am Montag, 6. Februar 2006 um 4.55 Uhr starb die Schriftstellerin Karin Struck in ihrer Wohnung in München. Die Autorin von vierzehn Romanen, einem Dreh- und einem Sachbuch sowie Essays und Erzählungen kämpfte bis zuletzt gegen den Krebs.

Karin Struck, geboren 1947 in Schlagtow bei Greifswald, floh 1954 mit ihren Eltern in den Westen, entschied in ihrem siebzehnten Lebensjahr Schriftstellerin zu werden, studierte in Bochum, Bonn und Düsseldorf Germanistik, Romanistik und Psychologie, war zweimal verheiratet, ist seit 1981 alleinerziehende Mutter, konvertierte 1996 zum Katholizismus, und hat vier erwachsene Kinder, geboren zwischen 1970 und 1988. 2002 wurde der Krebs diagnostiziert.

In den siebziger Jahren wurde sie als Vertreterin der »Neuen Subjektivität« für ihren ersten Roman »Klassenliebe«, erschienen im Suhrkamp Verlag, besonders von linken Kreisen »als intellektuelles Arbeiter- und Bauernkind« gefeiert. 1979 verfilmte Peter Beauvais ihre Erzählung »Trennung« als »Die Geschichte der Anna Wildermuth« mit Sabine Sinjen in der Titelrolle. In den Achtzigern war sie bei den Grünen und in der Friedensbewegung aktiv. 1988 mussten Stellen in Ihrem sozialkritischen Roman »Bitteres Wasser« geschwärzt werden; der Albrecht Knaus Verlag befürchtete Sanktionen eines großen deutschen Konzerns. In den Neunzigern provozierte sie mit ihrem Sachbuch »Ich sehe mein Kind im Traum« und in aufsehenerregenden Auftritten als Kämpferin für das ungeborene Leben in Talkshows; schon in ihrem zweiten Roman »Lieben« hatte sie Reue, Leid und Schmerz um die eigene Abtreibung thematisiert. Ihr letzter Roman »Ingeborg B. – Duell mit dem Spiegelbild« erschien 1993. In den letzten Jahren ihres Lebens wurde es zunehmend still um die Autorin.

Ob beim Thema Geschlechterkampf, Drogensucht oder Sex, Vater-Tochter-Konflikt, Politik oder Religion. Karin Strucks Leben und Werke sind geprägt von der Suche nach Heimat, dem Kampf gegen die Einsamkeit einer Entwurzelten und der Unmöglichkeit der Liebe. Ihr Stil, von so manchem Kritiker als formlos empfunden, divergiert zwischen Subjektivität und Entfremdung, zwischen Nähe und Distanz, zu sich zum Modell, zum Text. Ihre Kaiserdisziplin war ihr Tagebuch, die Fundgrube, aus der sie für ihre Werke schöpfte. Karin Struck war unbequem und als Mensch nicht immer einfach, eine ewige Rebellin, die sich immer engagierte, oft zwischen die Stühle stellte, auch dann, wenn sie gegen Windmühlenflügel kämpfte. Das war ihre Größe und ihre Tragik, im Leben wie im Werk wie im Glauben.

Der Trauergottesdienst findet statt am Freitag, 10. Februar 2006 um 10:45 Uhr in der Pfarrkirche St. Ulrich, Agnes-Bernauer-Str. 104, 80687 München, die Beerdigung um 12:30 Uhr auf dem Münchner Waldfriedhof, Alter Teil.

Werke von Karin Struck
Klassenliebe, Frankfurt am Main 1973
Die Mutter, Frankfurt am Main 1975
Lieben, Frankfurt am Main 1977
Die liebenswerte Greisin, Pfaffenweiler 1977
Trennung, Frankfurt am Main 1978
Die Herberge, Pfaffenweiler 1981
Kindheits Ende, Frankfurt am Main 1982
Zwei Frauen, Münster 1982
Finale, Hamburg 1984
Glut und Asche, München [u.a.] 1985
Bitteres Wasser, München [u.a.] 1988
Blaubarts Schatten, München [u.a.] 1991
Ich sehe mein Kind im Traum, Berlin [u.a.] 1992
Männertreu, München 1992
Ingeborg B. – Duell mit dem Spiegelbild, München 1993

Sekundärliteratur
Hans Adler (Hrsg.): Karin Struck, Frankfurt am Main 1984
Manfred Jurgensen: Karin Struck, Bern [u.a.] 1985

Preise

Rauriser Literaturpreis der Stadt Salzburg, 1974
Andreas-Gryphius-Preis der Künstlergilde Esslingen, 1975
Writer in Residence an der Universität in Brisbane/Australien, 1988
Lebensschutzpreis der Stiftung Ja zum Leben, 1991

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2 Kommentare

  1. Angela Hoffmann Says:

    Ich bin traurig, daß Karin Struck gestorben ist – ich kannte sie als eine immer engagierte, menschlich zugewandte Frau, Mutter, Intellektuelle und Autorin : Da war das Schreiben eben nicht per se vom Leben getrennt und das hat mir imponiert und ich fand das gut so. Wir haben gemeinsam zum Thema Ingeborg Drewitz gearbeitet und gemeinsam im damaligen Verband Deutscher Schriftsteller gekämpft : Gegen übermächtige Funktionärsmacht und für die Freiheit der Phantasie und die Freiheit der Meinungen und gegen die Unterdrückung der Frage der Menschenrechte in den damaligen sozialistischen Staaten. Karin Struck hat sich dabei eben wirklich engagiert, nicht nur einen Kommentar abgegeben. Ihr Engagement war total. Sie war davon zur Gänze erfüllt und nicht berechnend oder taktierend. Dieses 100%ige Engagement hat ihr nur wenig Unterstützung eingebracht, was ich immer sehr schade fand. Evtl. hat man – gerade in Deutschland – Angst vor einem solchen Engagement – also nicht nur argumentieren, sondern die Argumente ins Leben mit hineinnehmen – so weit es geht eben. Mich hat Karin Struck damit überzeugt. Ich bin traurig, daß sie so früh sterben mußte und hoffe, daß ihre Kinder Trost finden können. Ihre Werke, auch und gerade die Briefe und die Tagebücher, werden eines Tages in einem neuen und anderen Zusammenhang erscheinen.

  2. Robert Jauch Says:

    Ich habe Karin Struck erst nach ihrem Tod kennengelernt. Ihre Veghemenz in der Abtreibungsgegnerschaft mag für manchen verletzend gewesen sein, aber mir haben BLUBARTS SCHATTEN und ICH SEHE MEIN KIND IM TRAUM weiter die Augen geöffnet. Ihr Glaube in der Kirche wird ihr den entscheidenden Trost gegeben haben und die Nähe des Barmherzigen Gottes. Vom Himmel wird sie mit Freunden sehen, daß – wenn auch nur langsam – ein Umdenken in der Abtreibungsfrage (z. B. in Amerika) jetzt einsetzt. Aber mit Karin Struck müssen wir weiter wachrütteln. R. i. p.

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