Freitag, 29.09.2006 | 00:03 Uhr
Autor: Momo Evers
Es gibt so einen geflügelten Satz unter Autoren, der da lautet „Als ich zum ersten mal auf der Buchmesse war, fühlte ich mich plötzlich unendlich klein und unbedeutend. So viele Bücher – da schien meines plötzlich so wertlos.“ Nicht selten ergänzt um ein augenzwinkerndes „Und erkannt hat mich auch niemand …“ 😉
Viele kennen dieses Phänomen als den „Buchmesse-Blues“. Und jeder, der schon länger im Buchgeschäft tätig ist, weiß, daß dieser Blues vergeht – und daß man lernen kann, die Messe zu genießen; in der Vielfalt zu schwelgen, statt sich von ihr erschlagen zu lassen.
Den „Buchmesse-Blues“ kennen auch Lektoren, zumindest dann, wenn sie sich noch in der Gründungs- oder Volontariatssuchphase befinden. Und so glich auch mein erster Besuch auf der Frankfurter Buchmesse vor nunmehr weit über zehn Jahren einer Katastrophe. Mein Studium neigte sich dem Ende zu, und ich wußte ganz genau: Ich will Lektorin werden. Und: Den Einstieg zu finden, ist nicht leicht, aber es geht, wenn man nur will. Was man vor allen Dingen braucht, sind Kontakte – und Mut.
Mutig war ich, und so brach ich mit dem festen Ziel, Kontakte zu knüpfen, zur Buchmesse auf. Zu DER Buchmesse. Zu der ich schon immer hatte fahren wollen. Hallenweise Bücher und Verlage – eine wundervolle Vorstellung. Und es wäre doch gelacht, so dachte ich mir, wenn ich dort nicht einen Ansprechpartner finden würde, den ich davon überzeugen könnte, daß ich nach Ende meines Studiums die Idealbesetzung für eine Volontärin wäre. Schließlich hatte ich schon Lektoratserfahrung und einige Artikel publiziert, hatte mir eine bestimmte Branche (die Phantastik nämlich) recht solide erarbeitet, und brachte außerdem Unmengen von Leistungswillen und Begeisterung mit.
Zu Beginn habe ich mich damals auf meiner ersten Buchmesse einfach nur treiben lassen, habe gestöbert, über Einbände gestrichen, und all die glücklichen Menschen bestaunt, die bereits in „meiner“ Welt zuhause waren. Schließlich ertappte ich mich dabei, daß ich mich davor zu drücken versuchte, jemanden anzusprechen. Ich hatte ja gar keinen Termin, und alle wirkten unglaublich beschäftigt. Und außerdem hatte ich ja auch keinen guten Grund für einen Termin. „Sie suchen eine Volontärin? – Nehmen Sie mich!“ war, wo ich nun genauer darüber nachdachte, eigentlich ein lachhaftes Anliegen. Es gab ja Unmengen von Volontariatsinteressenten. Und vielleicht waren sie alle viel besser qualifiziert als ich. Schließlich hatte ich ja schon ein paar Bewerbungen geschrieben und bislang keine Rückmeldung erhalten.
Kurz: Mein Mut verließ mich, und um das zu verhindern, ging ich zum Angriff über. Zunächst übte ich an Orten, an denen ich nichts zu verlieren hatte. Ich fragte bei ein paar Verlagen an, die nicht meine erste Wahl gewesen wären. Meine Ansprechpartner, so teilte man mir mit, seinen leider gerade nicht am Stand oder im Gespräch, aber ich könne gern meine Visitenkarte da lassen oder für morgen einen Termin vereinbaren.
Eine Visitenkarte hatte ich natürlich nicht, und außerdem war ich nur einen Tag da und hatte mich auch um keine Übernachtungsmöglichkeit gekümmert, fand aber dennoch, mich gar nicht einmal so schlecht geschlagen zu haben.
Also machte ich ernst: Ich holte tief Luft, setzte mich in Richtung „meines“ Verlages in Bewegung und trug mein mittlerweile erprobtes Sprüchlein vor. Die Frau am Infopult schenkte mir ein Lächeln und sagte, ich solle um drei Uhr wiederkommen, da habe die Lektorin eine kurze Pause. Ich war glücklich, fragte erst gar nicht an anderen Ständen (jetzt hatte ich ja eine prima Ausrede – ich hatte fast so etwas wie einen Termin! *g*), war um drei wieder vor Ort – und wartete geschlagene drei Stunden, während sich die Hallen langsam leerten und das Gefühl, versagt zu haben, immer weiter wuchs.
Als die Lichter bereits gedimmt wurden, deutete die Dame am Infoschalter auf eine Frau im Kostüm – da war sie, meine Chance. Die Lektorin mir gegenüber war – das sah ich gleich – nach einem langen Messetag müde und abgekämpft, sie hatte Feierabend und dennoch netterweise ein Ohr und folgende Information für mich: „Leider suchen wir derzeit keine Volontäre im Lektorat.“
Und dann ging sie. Lachend und mit ihren Kollegen über den hinter sich gebrachten Messetag scherzend. Fort.
Ich sah ihr lange nach und wünschte mir über alles in der Welt, mit ihr tauschen zu können. Und fragte mich, ob ich je einen Weg hinein in diese Welt finden würde, in der ich mit Büchern würde arbeiten können. Und glaubte nicht mehr daran.
Heute, viele Jahre und Bücher später, bin ich schon lange an jenem Ort angekommen, an den ich mich damals so sehnlich gewünscht hatte. Ich möchte meinen Beruf mit keinem anderen tauschen und genieße jedes Jahr die Buchmesse in vollen Zügen. Heute muß ich mich nicht mehr beweisen und gehe am abend selbst mit Kollegen fort, um über die Messe und den Buchmarkt zu disputieren. Heute gehöre ich dazu.
Aber wenn ich mit offenen Augen über die Messe gehe, dann erkenne ich die Momo von damals wieder in jenen Menschen, die sich in der Nähe der Verlagsstände herumdrücken, mutig zwei Schritte vorgehen, dann wieder abbrechen. Oder zu uns stoßen, während ich mich mit einem Kollegen unterhalte, und in rasender Geschwindigkeit ihr Anliegen vortragen; den Blick gesenkt, das „Nein“ erwartend, um dann schnell wieder fort zu gehen.
Ihnen allen möchte ich von Herzen sagen: Gebt nicht auf.
Und wenn eurer Traumberuf – ebenso wie der meinige – das Lektorat ist: Geht zum Stand des VfLL, des Verbandes der freien Lektoren und Lektorinnen (http://www.vfll.de) und informiert euch über euren zukünftigen Beruf.
Scheitert nicht an euren eigenen Erwartungen, sondern genießt die Messe als das, was sie ist: Ein Ort voller Bücher, in jedem Buch eine Welt. Ein Ort der Begegnung, und hinter jeder von ihnen eine Chance – auch wenn diese Begegnungen nicht heute und nicht morgen, sondern vielleicht erst in vielen Jahren Früchte tragen.
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05.10.2006 um 12:05 Uhr
Hallo Momo, Blogger-Lektorin der aktuellen book-fair!
Ich fand Deinen Beitrag sehr schön zu lesen, teile dieselben Erfahrungen seit gut drei Jahren, habe damals auch vom vfll in angenehmen Gesprächen profitiert und bin doch der Meinung, dass ein bedauernswerter Fakt meine Realität von der Deinen unterscheidet: Bei mir hieß es vor drei Jahren schon, dass es nur noch unbezahlte Praktika und keine Volontariate mehr gibt; die Wartezeiten auf Praktika waren bis zu zwei Jahre. Was auf der Messe noch fehlt ist eine Auffangstation für Leute wie uns, die „Wunscheinsteiger“. Die Azubis haben einen Treffpunkt, die selbstständig Suchenden nicht; leider hat der vfll mir damals klar zu verstehen gegeben, dass alle dort jahrelange Verlagserfahrung mitbringen. Die eigene Motivation diesem Koloss an zielstrebig agierenden „etablierten“ Buchschreibern, -herstellern, -betreuern, -findern, -vermarktern gegenüber ist nur schwer aufrecht zu erhalten, und der leichte Blues droht der Depression zu weichen. Es wäre schön, dann zu wissen, dass es anderen genau so geht oder ergangen ist.
Blogge weiter tröstliche Worte!
Grüße aus der angehenden Selbstständigkeit!
07.10.2006 um 22:51 Uhr
Hallo liebe Dorothee – komm doch zu uns zum Texttreff (www.texttreff.de). Du wirst sehen – es hilft 🙂
Mit Deiner Anmerkung hast Du aber ansonsten Recht: So ein Anlaufpunkt fehlt.
Allerdings nimmt der VfLL mitlerweile auch Anwärter auf, und der Mensch, den Du damals gesprochen hast, hat Dir schlicht nicht das Richtige erzählt: Natürlich gibt es noch Volontariate 🙂
Liebe Grüße
Momo