Mittwoch, 07.03.2012 | 13:29 Uhr

Autor: JosefBordat

Biodiversität als Kulturphänomen

Marcel Robischon über den Verlust der Artenvielfalt und das Verstummen der Welt

Die Vielfalt der Tier- und Pflanzenarten hat einerseits einen Selbstwert, ist jedoch anderseits für den Menschen von großer Bedeutung, nicht nur für den Menschen im „Naturzustand“, sondern auch für uns heute, für unsere Kultur. Ein Verlust an Biodiversität führt damit auch zu einem Verlust an Kultur. Denn die Farben und Formen, die Düfte und Klänge der Natur sind eine einzigartige Inspirationsquelle für das kulturschaffende Wesen Mensch, für seine Kunst und seine Technik.

Nun ist es eine Tatsache, dass die Natur immer weiter zurückgedrängt wird. Der seinerseits kulturelle Aneignungsprozess von Flora und Fauna, der eine jahrtausendelange Tradition hat, doch seit dem Mittelalter (Städtebau) und vor allem seit dem 19. Jahrhundert (Industrialisierung) in starker Beschleunigung fortschreitet – was im zivilisatorischen Bewusstsein recht lange und recht einseitig als „Fortschritt“ wahrgenommen wurde – sorgt dafür, dass immer mehr von dem verschwindet, was uns als Grundlage unserer Kultur dient. Das Megaprojekt Zivilisation erweist sich damit als höchst „undankbar“ – gegenüber der Natur, die es nach Gebrauch vernichtet – und „unvernünftig“ – gegenüber der Kultur, die es nach und nach verarmen lässt, weil er ihre die natürliche Eingebung raubt. Die menschliche Gesellschaft verliert so ihr Entwicklungspotenzial – wenn sie sich weiter so entwickelt wie bisher.

Der Naturhistoriker und Biologe Marcel Robischon mahnt daher einen anderen Umgang mit der Natur und einen Schutz ihrer Artenvielfalt an. Nicht schulmeisterlich, sondern literarisch und unterhaltsam, mit einer abwechslungsreichen Reise-Revue, die uns die enge Verzahnung von Natur und Kultur vor Augen führt. Die – auf lange Sicht – weit größere Abhängigkeit des Menschen von der Natur wird erkennbar in den Beschreibungen einer vom Menschen akut bedrohten Tier- und Pflanzenwelt. Aus Mythen und Legenden um das Verhältnis von Mensch und Lebensraum gewinnt er eine Sicht auf Kultur und Natur, die Interdependenzen erkennt und benennt und letztlich zur Bewahrung der Schöpfung aufruft.

Trotz des belletristischen Stils handelt es sich bei Vom Verstummen der Welt um ein Sachbuch mit dezidiert wissenschaftlichem Anspruch. Die in den Geschichten eingewobenen Sachverhalte zur Artenvielfalt und zum Artensterben werden gut belegt. Die kulturwissenschaftlichen Schlussfolgerungen sind zwar nicht neu (das Mensch-Natur-Verhältnis gehört seit jeher zu den zentralen Fragen der philosophischen und ethnologischen Anthropologie), können aber die Forschungen zur Kultur- und Sozialanthropologie beleben, vor allem durch die vielen gut recherchierten und genau beschriebenen Erzählungen aus der Geschichte der Menschheit. Schon die Bezeichnungen von Städten und Regionen zeigt dabei die enge Verbindung von Mensch und Natur, einen Konnex, den es für den Menschen wiederzuentdecken gilt – schon aus eigenem Interesse!

Bibliographische Daten:

Marcel Robischon: Vom Verstummen der Welt. Wie uns der Verlust der Artenvielfalt kulturell verarmen lässt
München: Oekom (2012)
319 Seiten, 19,95 Euro
ISBN: 978-3865811820

Josef Bordat

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Ein Kommentar

  1. Die Mission: ehemalige Lebensadern wiederbeleben! » Land der Erfinder - Das Blogzine über Erfindungen, Ideen und Innovationen aus Österreich Says:

    […] Wichtig ist vor allem auch, dass den verschiedenen Bedürfnissen der Tiere entsprechende Lebensräume zur Verfügung stehen. Darunter sind zum Beispiel kräftig durchströmte und damit sauerstoffreiche […]

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