Mittwoch, 13.07.2011 | 17:12 Uhr
Autor: JosefBordat
Ludger Honnefelder entwickelt eine philosophische Grundlegung des Lebens-, Natur- und Umweltschutzes
Die Bestimmung des Verhältnisses des Menschen zu seiner Natur und zu der Natur, die ihn umgibt, zählt zu den wesentlichen Orientierungsaufgaben, denen sich sowohl die Wissenschaft als auch das strukturierte Nachdenken widmen. Ob Fragen der Biotechnologie oder des Klimaschutzes, Themen der Umweltgesetzgebung oder alternativer Heilmethoden, immer wieder geht es einerseits um die menschliche Natur und andererseits um die Natur, die den Menschen umgibt, die er jedoch beide gleichermaßen gestaltet, so dass die Abgrenzung zur anthropogenen Kultur uneindeutig ist und mit wachsendem Fortschritt in Naturwissenschaft und Technik immer mehr verschwimmt. Der Philosoph und Theologe Ludger Honnefelder unternimmt vor diesem Hintergrund den Versuch, den Naturbegriff in seinen Ausprägungen zu erfassen. Er liefert damit wertvolle Einsichten zur Bestimmung dessen, worüber in den vielfältigen Diskursen – oft wie selbstverständlich – gesprochen wird und stellt die entscheidende Frage der normativen Bio- und Umweltethik: „Welche Natur sollen wir schützen?“
Honnefelder übernimmt dazu die Einteilung der Natur in „menschliche Natur“ und „natürliche Umwelt“. Damit unterstreicht er den Umstand, dass wir einerseits über die uns äußerliche Natur verfügen, dass wir andererseits selbst Teil dieser Natur sind und bleiben – allen Versuchen zum Trotz, uns ihrer Gegebenheit wissenschaftlich-technisch zu entziehen. Weil wir so eng mit der Natur verbunden sind, ist ihr Schutz eine der wichtigsten Aufgaben des Menschen. Doch was bedeutet das? Zunächst einmal eine Klärung des Begriffs, denn was man schützen will, muss man kennen. Honnefelder bemüht sich, in beiden Perspektiven die entscheidenden Aspekte herauszuarbeiten. Dazu gehören insbesondere die Trennung von Natur und Kultur sowie die damit nötige Einschätzung der Reichweite unterschiedlicher Strategien des Erkenntnisgewinns, also die epistemologische Diskussion natur- und kulturwissenschaftlicher Zugänge zum Mensch-Natur-Verhältnis.
Kann die Naturwissenschaft über die Natur alles aussagen, was auszusagen ist? Honnefelder meint: Nein. Nicht, wenn es um die Umwelt geht, etwa um das Thema Gentechnik, und erst recht nicht, wenn es um die natura humana geht, also um die anthropologische Selbstbestimmung des Menschen, um das Menschenbild, etwa beim Thema Hirnforschung. Denn immer zeigt sich, dass ethische Fragen entstehen, die in ihrem normativen Anspruch von der Naturwissenschaft nicht beantwortet werden können. Sollen wir unsere Nahrung gentechnisch verändern und damit die Erträge erhöhen, zugleich aber die Artenvielfalt gefährden? Sollen wir unser Gehirn leistungsoptimieren, auf die Gefahr hin, unser personales Ich zu verlieren, das sich u.U. gerade dadurch auszeichnet, bestimmte Dinge nicht zu erinnern? Antworten darauf brauchen neben dem Wissen um den Gegenstand „Natur“ eine philosophische und theologische Bewertung des Gegenstands „Mensch“. Honnefelder macht deutlich: Die Naturwissenschaft kann uns helfen festzustellen, was ist, sie kann uns aber nicht sagen, was sein soll. Oder anders: Sie kann unsere „erste Natur“ ergründen, nicht aber unsere „zweite“, die überlagert ist von „kulturellen Erfüllungsgestalten des Menschlichen“.
Im dritten Teil stellt Honnefelder auf der Grundlage der Erträge seiner weit ausgreifenden Begriffs- und Theorieanalyse vertiefende Fragen, vor allem zur Bioethik. Denn hier bündeln sich in den Fragen die Zuordnungs- und Abgrenzungsprobleme. Ist der Mensch noch Mensch nach Eingriffen in sein Bewusstseinsorgan (Stichwort: Hirnschrittmacher)? Sollen wir zugunsten der biologischen Gesundheit unserer ersten Natur die Personalität und Individualität unserer zweite Natur opfern (Stichwort: Klonen)? Sollen wir die natürlichen Ausleseprozesse kulturell überformen (Stichwort: Selektion nach PID)? Es zeigt sich, dass in der Bioethik „Bio“ auf „Ethik“ zurückwirkt, so dass die Antworten auf diese Fragen nicht nur deswegen elementare Bedeutung haben, weil sie das menschliche Leben direkt betreffen, sondern auch, weil sie Vorgaben dazu machen, welche Form von „Ethik“ wir in Zukunft haben werden. Honnefelder stellt die Schlüsselfrage: „Können die neuen Handlungsmöglichkeiten […] im Rahmen der Basisnormen der akzeptierten universalistischen Ethik und der mit ihren verbundenen Kriterien einer verantwortbaren Anwendung auf den Menschen zugeführt werden“, was zuerst und vor allem für den einzelnen Menschen wichtig ist, oder aber stellen die neuen Möglichkeiten in der Biomedizin „diese Basisnormen und damit das Projekt einer auf die wechselseitige Anerkennung autonomer Subjekte gegründeten Ethik selbst in Frage?“, was dann für die ganze Menschheit Bedeutung hat, denn damit steht nicht weniger als die Grundlage des guten Zusammenlebens zur Disposition.
Ludger Honnefelder stellt die richtigen Fragen und gibt sehr ausführlich kluge Antworten. Der Text ist keine leichte Kost, sondern in einer Diktion gehalten, wie sie ausgesprochenen Fachpublikationen eignet (den einzelnen Kapiteln liegen Tagungsbeiträge und frühere Aufsätze zugrunde). Dennoch lohnt es, sich durch den schwierigen Text zu hangeln, denn der Erkenntniszuwachs ist hoch. Der anlässlich des 75. Geburtstags Honnefelders herausgegebene Band ist ein Geschenk für alle.
Bibliographische Daten:
Ludger Honnefelder: Welche Natur sollen wir schützen?
Berlin: Berlin University Press (2011)
291 Seiten, 29,90 Euro
ISBN-13: 978-3862800056
Josef Bordat
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