Freitag, 11.01.2013 | 21:43 Uhr
Autor: Andreas Schröter
Der argentinische Autor Ariel Magnus hat ein Porträt über seine Oma geschrieben. Die hat als 1920 geborene deutsche Jüdin den Holocaust in verschiedenen Konzentrationslagern knapp überlebt – wobei sie sich freiwillig den Deportationen nach Theresienstadt und später Auschwitz angeschlossen hatte, um ihre blinde Mutter wiederzufinden.
Doch die Nazizeit bildet in diesem Buch nicht den Schwerpunkt. Vielmehr geht es dem 1975 geborenen Autor darum, ein viel umfassenderes Bild seiner Großmutter wiederzugeben. So erzählt er auch, wie – manchmal unwillig und chaotisch – sie die Informationen aus der so lange zurückliegenden Zeit preisgibt und wie sie sich heute ganz allgemein im Kreise ihrer Familie gibt. Dabei kommt die Oma nicht nur positiv weg. Sie nervt alle Verwandten mit einer permanenten Redeflut, erscheint recht willkürlich in ihrem Urteil über andere Menschen und springt in den Interviews mit ihrem Enkel von einem Thema zum anderen, sodass der Schwierigkeiten hat, sich ein Gesamtbild von ihrem Leben in der Nazizeit zu machen. In Berlin ist sie nur am KaDeWe interessiert, sie liest gerne Klatschblätter und schaut sich im Fernsehen den letzten Mist an.
Diese Schreibtechnik hat ihren Reiz: Indem Ariel Magnus all dies wiedergibt – und nicht nur die Erlebnisse seiner Großmutter aus den Interviews herausfiltert, wie es naheliegend gewesen wäre -, gelingt ihm ein viel umfassenderes Porträt der alten Dame, in dem ihre Schrulligkeiten genauso aufscheinen wie ihre positiven Eigenschaften: Und die überstrahlen vieles: Emma, so heißt die Seniorin, hat sich durch ihre schrecklichen Erfahrungen nicht verbittern lassen und ist – obgleich sie den Holocaust nie vergisst – ständig auf Versöhnung mit den Menschen, auch welchen aus Deutschland, aus.
Magnus‘ Schreibtechnik hat ihren Preis: Genauso wie der Autor manchmal genervt ist von der Seniorin, ist es in einigen Passagen auch der Leser – wenn ihre Erzählungen so wirr durcheinandergehen, dass man nicht mehr weiß, wer wer ist und was gerade passiert. Trotz dieser kleinen Abstriche insgesamt ein schönes Buch.
—————————-
Ariel Magnus: Zwei lange Unterhosen der Marke Hering – Die erstaunliche Geschichte meiner Großmutter.
Kiepenheuer & Witsch, September 2012.
175 Seiten, Gebundene Ausgabe, 18,99 Euro.
Mit flattr kann man Bloggern mit einem Klick Geld zukommen lassen. Infos
23.01.2013 um 22:08 Uhr
InhaltAriel Magnus erzählt die Geschichte seiner Großmutter Emma. Eine außergewöhnliche Frau, die um bei ihrer blinden Mutter sein zu können freiwillig ins Konzentrationslager Theresienstadt und später nach Auschwitz deportiert ist. Auch auf dem Weg in die Gaskammer ist sie ihrer Mutter nicht von der Seite gewichen und nur durch einen Zufall am Leben geblieben. Über 50 Jahre später steht sie nun ihrem Neffen Rede und Antwort auf seine Fragen zu der damaligen Zeit.
02.02.2013 um 11:27 Uhr
Wie Lily Brett in „Zu viele Männer“ mit ihrem Vater die in Polen gelegenen KZs und ehemaligen Ghettos aufsucht, so kutschiert Ariel Magnus seine „Oma“, die jedesmal, wenn sie nach Europa reist, die KZs besucht, nach Buchenwald. Aber sie lässt ihren Enkel und dessen Familie allein reingehen und wartet in einem Café vor dem Eingang: „ein erneuter Besuch (glaube ich) langweilte sie ein wenig“, mutmaßt der Enkel. Und wundert sich nicht, dass sie, als sie wieder rauskommen, vorschlägt, in dem Café zu essen, es sei günstig – ein Vorschlag, dem er jedem deutschen Fremdenführer um die Ohren gehauen hätte.