Freitag, 21.10.2005 | 13:19 Uhr
Autor: andreaffm
Was macht eigentlich das literarische Fräuleinwunder? Wo sind sie hin, die FAZ-Covergirls, deren ätherisch schwarzweißgerasterte Gesichter nebst einer Hymne vom Chefkritiker die letzten Jahre so inflationär auftauchten? Einige von ihnen haben zweite Romane geschrieben, und einige tauchen auf dieser Buchmesse wieder auf. Ich habe mir ein paar der neuen Bücher junger Autorinnen angeschaut.
Inka Parei: Was Dunkelheit war
(hier gibt’s auch eine Leseprobe)
Klagenfurt-Gucker kennen das ja schon, diese Geschichte übers Sterben in Rödelheim. Ja, Rödelheim. Damals, als dieser Stadtteil Frankfurts noch richtig verschnarcht und provinziell war und noch keine harten Rapper ihre harten Reime von dort aus in die Republik tönen ließen. Damals gab es nur Metzgerläden und Gaststätten mit gutbürgerlicher Küche und Nachbarn, die man besser nicht behelligt, weil man sonst in Dinge involviert wird, die nicht schön sind. Ein Ort, an dem man vermutlich nicht begraben sein möchte, aber was will man machen, wenn man da ein Haus erbt?
Frau Parei bekam für den Anfang dieses Romans 2003 den Bachmann-Preis. Ich habe daraufhin versucht, ihren angeblich sehr erfolgreichen ersten Roman „Die Schattenboxerin“ zu lesen, was mir nicht gelang. Auch die Schattenboxerin spielt in heruntergekommenen Mietsverhältnissen, nur in Berlin statt Rödelheim (Frau Parei ist mittlerweile umgezogen), alle Leute haben sprechende Namen und benehmen sich komisch. Es macht mich leider wahnsinnig, wenn sich in einem Buch alle komisch benehmen, nur, damit die Autorin damit etwas aussagen kann. Das nur vorab, denn ich respektiere Frau Pareis Literatur durchaus, kann und will mich aber den überall verlautbarten Hymnen nicht so recht anschließen.
„Was Dunkelheit war“ ist nun auch nichts für aufgeregte Gemüter. Das erste Kapitel ist ein echtes literarisches Sedativum, das die Jury damals natürlich sehr literarisch, poetisch und anrührend fand, Frau Radisch sah sich sogar in Rödelheim nichts geringeres als den gesamten Kosmos entfalten. Aber das ist eben Frau Radisch. Sobald irgendwo ein Putzeimer rumsteht, faselt sie von Lebenswelten.
Inka Parei war am Donnerstag um 14 Uhr auf der Buchmesse am 3Sat-Stand zu Gast und wurde von Ernst Grandits interviewt. Sie erzählt, wie sie mit Dreißig angefangen habe zu schreiben, das sei ihr sehr schwer gefallen und sie habe dafür das Studium abgebrochen. Man müsse über ein Thema, über das man schreibt, viel wissen, man lerne aber auch dazu, lerne seine Figuren kennen.
Ob das Schreiben eher Qual oder Lust sei?
Inka Pareis Glück liege in der Genauigkeit, sagt sie.
Ob sie eine Art Architektin der Literatur sei?
Ja, sagt sie, sie habe schon weine Affinität zu Häusern, Ihre Bücher behandelten die Wahrnehmung, aber auch die Grenzen von Wahrnehmung.
(Na gut, das ist jetzt auch nicht so die Wahnsinnsaussage, aber solche Sätze fallen ziemlich oft, sobald eine Kamera auf einen Autor/eine Autorin gerichtet ist. Irgendwie verselbständigen sich diese Nullaussagen. Das ist wie ein Virus, der von Mikrophonen übertragen wird.)
Wie sie ihre Figuren finde? Oder fänden ihre Figuren sie?
Sie sei nicht jemand, der seine eigene Biographie ein zu eins einbringe, sie beschäftige sich mit Stoff und entwickele daraus eine Geschichte. Die habe aber sehr wohl mit ihr zu tun.
Und an welchem Stoff schreibt sie jetzt, nachdem „Was Dunkelheit war“ beendet ist?
Sie beschäftige sich mit Kleist und der Geschichte des Schreibens, aber gleichzeitig auch mit Berlin, mit den Stadtgrenzen und -rändern. (Oha. Ich spüre düstere Vorurteile in mir aufwallen. Schreiben über Berlin und Schreiben übers Schreiben. Das hatten wir ja noch gar nicht, das ist ja mal was ganz neues.)
Die Randperspektive liege ihr überhaupt sehr am Herzen, auch die Menschen, die sonst nicht vorkommen.
Ernst Grandits stellt die Relevanzfrage, und Frau Parei antwortet so ausweichend, wie man darauf eben nur ausweichend antworten kann: Relevanz sei ein dehnbarer Begriff, genauso wie Wirklichkeit. Schreiben kann auch Vergewisserung von Vergangenem sein, und sie will Verlorengegegangenes, Liegengebliebenes aufsammeln.
Und die Kritik?
Es sei ein schöner Moment, wenn sich jemand mit Sorgfalt an einen Text herangemacht habe, neue Bezüge findet, auf den Punkt bringt. Dann bekomme der Text sowas wie ein Eigenleben.
Tags: Autorinnen, Buchmesse, Literatur
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21.10.2005 um 13:49 Uhr
Autorinnen wie Inka Parei, deren Sprache auch diesmal wieder durch stupende Schmuck- und Ironielosigkeit besticht, veranlassen immerhin andere Autorinnen zu lesenswerten Texten wie diesem Blogeintrag. Mich wiederum hat die Bachmannpreisvergabe an Frau Parei seinerzeit zu einem Gedicht veranlaßt. Es fiel mir auf dem Fahrrad ein und geht so:
Ach! ich möchte jung sein, Inka Parei heißen,
auch mal einen großen Preis gewinnen
und erleben, wie sich alle um mich reißen:
Iris Radisch, Thomas Steinfeld, Burkhard Spinnen.
Ach! ich möchte schön sein, einen Namen tragen,
der so klingt wie Dichternamen klingen:
irgendwie exotisch; so daß alle Leute fragen
und, wenn ich berühmt bin, alle für mich springen.
Ach! ich möchte da sein, wo jetzt alle dichten:
vielleicht in Mitte oder Friedrichshain;
denn die allererste der Autorenpflichten
lautet: Du mußt ein Berliner sein.
23.10.2005 um 20:22 Uhr
Bis auf, dass Steinfeld damals gegen Inka Parei war, als einziger. Aber egal.
Mal eine Frage: Wie kommt es, dass bei Frauen immer gerne die Rede von „Frau Soundso“ ist (also: Frau Parei), bei Männern aber Vor- und Nachname genannt werden (also: Ernst Grandits)? Fällt das nur mir auf, und, finde nur ich das despektierlich?
Uwe
24.10.2005 um 8:31 Uhr
mir fiel das weder auf, noch finde das despektierlich.
in wiss. texten werden männer auch meist nur mit nachnamen, frauen aber mit vollem namen genannt. ist das irgendwie wertend? nö, oder?
(man muß nicht aus jedem unterschied eine abwertung machen, denke ich.)
24.10.2005 um 15:41 Uhr
Das Umgekehrte ist der Fall. Das ist respektierlich wenn auch vollkommen un-republikanisch. Während die Männer jedes Ehrentitels („Herr“) beraubt werden, wird die Frau mit Respekts- und Adelstitel angesprochen (frouwe = Herrin, männl. Form: fron (daher: Fronleichnam, Frondienst)).
Stets zu Diensten. (Ja, Andrea, es färbt ab 😉 )
24.10.2005 um 20:18 Uhr
Ob das wertend ist, nur „Frau Parei“ zu schreiben? Ich glaube, in diesem Fall schon, weil Parei eben immer als „Inka Parei“ auftritt – als eine (vielleicht blöd gesagt) „Marke.“ Lasse ich die Inka weg, dann reduziere ich die Autorin/Künstlerin zu einer normalsterblichen Bürgerin. Aber velleicht spinne ich da auch (es geht mir jedenfalls nicht um Inka Parei persönlich, mit deren Bücher ich übrigens ebenfalls meine Schwierigkeiten habe). Keine Ahnung. Man kann dieses Verfahren aber auch bei Hegel beobachten, der, wann immer er nicht ernstzunehmende Philosophenkollegen zitiert, von „Herr Fries“ etc. spricht (aber niemals von „Herr Kant“ oder „Herr Fichte“, sondern einfach nur „Kant.“ Kant als „Marke.“
Aber davon mal abgesehen: danke für den interessanten Bericht über Inka Pareis Auftritt, habe ich gerne gelesen.
Uwe