Mittwoch, 13.03.2013 | 09:20 Uhr

Autor: JosefBordat

Zu den Wurzeln

Ein Sammelband erschließt die Begriffsgeschichte der Nachhaltigkeit und geht dabei zurück an den Ursprung: zu Hans Carl von Carlowitz.

Nachhaltigkeit – kaum ein anderer Begriff bestimmt die Debatten der letzten Jahre so sehr. Ob Umwelt- oder Wirtschaftsfragen: Die Antworten sollen „nachhaltig“ sein. Der disparate, themenübergreifende Umgang hat das Konzept bis zur Bedeutungslosigkeit ausgefranst – was alles bedeuten kann, bedeutet am Ende eben nichts. Definitionen versuchen zu klären, was längst durch Alltagsverwendung und Emotion vernebelt ist. Es hat keinen Zweck: Wer verstehen will, was Nachhaltigkeit meint, muss zurück zu den Wurzeln der Entstehung des Begriffs, um dessen Erfinder „bei seinem tastenden Suchen nach dem prägnanten Wort über die Schultern zu schauen“ (Vorwort).

Es ist gut, dass dieser Weg in einem soeben bei Oekom erschienenen Sammelband gegangen wird. Der von der Sächsischen Hans-Carl-von-Carlowitz-Gesellschaft zur Förderung der Nachhaltigkeit (Chemnitz) herausgegebene Band „Die Erfindung der Nachhaltigkeit. Leben, Werk und Wirkung des Hans Carl von Carlowitz“ erschließt die Begriffsgeschichte von ihrem Ursprung her. Und der liegt auf Burg Rabenstein bei Chemnitz. Dort nämlich wird am 14. Dezember 1645 eben jener Hans Carl von Carlowitz geboren, der vor 300 Jahren mit seinem Werk „Sylvicultura oeconomica. Anweisung zur wilden Baum-Zucht“ erstmals eine Präzisierung des Begriffs in forst- und volkswirtschaftlicher Hinsicht vornahm.

Schon bei der Rezeption des carlowitzschen Verständnisses von Nachhaltigkeit gibt es Missverständnisse, wie der Forstwirt und Nachhaltigkeitsforscher Joachim Hamberger anmerkt. Es sei nicht nur so, dass Carlowitz einen „stabilen Zustand“ gefordert habe, der dadurch erreicht werde, „dass nicht mehr Holz aus dem Wald entnommen werden dürfe, als nachwachse“, wie „fast immer zu lesen oder zu hören“ sei, sondern der Erfinder der Nachhaltigkeit „ist radikaler, er fordert wesentlich mehr“: Carlowitz fordert „eine massive Investition der gegenwärtigen Generation in die Verjüngung der Wälder, die erst künftigen Generationen zugutekommen wird“, wie Hamberger ausführt. Damit ging es ihm um „ein Denken, das nicht nur auf den eigenen Nutzen blickt, sondern sich als zeitlichen Teil des überzeitlichen Körpers Menschheit versteht“, ein „modernes“ Denken, das sich der Verantwortung des Menschen für die Bewahrung der Schöpfung bewusst ist – einer Verantwortung gegenüber Gott und der Menschheit.

Damit wären wir schon sehr nah dran an der der heute gebräuchlichen Verwendungsform von Nachhaltigkeit als „ganzheitlicher Ansatz“ zur Gewährleistung von „Generationengerechtigkeit“, der ökologische, soziale und ökonomische Aspekte zu einer Strategie integriert, in der es genau darum geht: die Interessen zukünftig lebender Menschen in der Lebensform heute angemessen zu berücksichtigen. Die Autoren bemühen sich in reich bebilderten biographischen, ideen- und sozialhistorischen sowie systematischen Beiträgen, die von anthropologischen bis hin zu diskursanalytischen Erwägungen reichen, diesen Begriff von Nachhaltigkeit aus dem Erbe Carlowitz’ herzuleiten, um das „Leitbild von universeller Geltung“ (Vorwort) tiefer zu begründen. Den großen Bogen zu schlagen von Rabenstein nach Rio, von 1645 nach 1992, vom sächsischen Wald zur ganzen Welt erweist sich als sinnvoll, um dem Begriff das spezifische Gewicht zurückzugeben, das ihm sein Erfinder einst zuschrieb.

Bibliographische Angaben:

Sächsische Hans-Carl-von-Carlowitz-Gesellschaft zur Förderung der Nachhaltigkeit: Die Erfindung der Nachhaltigkeit. Leben, Werk und Wirkung des Hans Carl von Carlowitz.
München: Oekom 2013.
285 Seiten, 24,95 Euro.
ISBN: 9783865814159.

Josef Bordat

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