Dienstag, 07.10.2014 | 11:41 Uhr

Autor: JosefBordat

Vom Altar ins Fernsehen

Prominente Entertainer erzählen, wie die Ministrantenzeit sich auf ihre Karriere ausgewirkt hat und geben Zeugnis von ihrem heutigen (Un-)Glauben

Liturgie ist sicher weit mehr als Inszenierung, aber doch gehört zu einem katholischen Gottesdienst auch die Ästhetik und die Sinnlichkeit, solange sie den sakramentalen Inhalt unterstreichen und sich nicht als Form verselbständigen. Zur Liturgie gehören gleichfalls die Personen, die feste Rollen spielen. Natürlich der Zelebrant, aber auch Lektoren und Ministranten.

Markus Schächter versammelt in seinem Buch „Die Messdiener“ Geschichten prominenter Fernsehstars, die ihre Karriere gewissermaßen am Altar begannen – als Ministranten. Dazu gehören etablierte Größen der Unterhaltung wie Frank Elstner, Thomas Gottschalk oder Jürgen von der Lippe, Sportjournalisten wie Dieter Kürten und Matthias Opdenhövel, Talkshow-Moderatorinnen und -Moderatoren wie Markus Lanz und Anne Will. Auch Günther Jauch, Hape Kerkeling und Guido Cantz gehören zu den ehemaligen Dienern am Alter, deren Biographie auf den Konnex von Kirche und Kunst hin untersucht wird.

Die Idee, diesen Zusammenhang näher zu betrachten, kam dem Verfasser angesichts der Tatsache, dass die Ministranten-Dichte im deutschen Showgeschäft verhältnismäßig hoch ist, und zwar über die Generationen hinweg, von Elstner bis Opdenhövel. Doch die kausale Verbindung von Messe und Medien ist vielleicht nicht ganz so zwingend, die Realität ist fraglos komplexer. Dennoch: Der Ministrant bekommt schon sehr früh ein Gefühl für Inszenierung. Zudem ist die nötige Disziplin, die man sich als Ministrant erarbeitet (man denke an den Dienst in der Frühmesse), später im Beruf sehr hilfreich. Das gilt aber wiederum allgemein, also auch für Berufe, die nicht so öffentlichkeitswirksam ausgeübt werden.

Umgekehrt kann man fragen, was die Medienmacher und Moderatoren aus ihrer Messdienerzeit in den Beruf hinüberretten konnten. Viele der Fernsehgrößen, mit denen Schächter sprach, wiesen auf ein ethisches Grundgerüst hin, das sie sich als junge, engagierte katholische Christen angeeignet hätten und das ihnen vor der Kamera helfe, sich der ethischen Rahmenbedingungen bewusst zu sein. Auch hier darf Skepsis angebracht werden, bieten doch die Sendungen nicht immer medienethischen Anschauungsunterricht. Im Verhältnis zu vergleichbaren Formaten (insbesondere auch im Ausland) kann man aber diese Spuren der im Dienst am Altar und in den „Mini“-Gruppenstunden erworbenen Moralität noch ziemlich deutlich erkennen.

Markus Schächter legt eine etwas andre biographische Annäherung an Prominente vor, deren Ansatz sowohl religions- wie auch mediensoziologisch interessant ist. Die einzelnen Kapitel zu den Größen der deutschen Fernsehunterhaltung zeichnen die sehr unterschiedlichen Karrieren in leichter Sprache nach und lassen dann den Prominenten zu Wort kommen. Im umfangreichen Vorwort (eher eine systematische Einführung) bietet der Verfasser eine Querschnittsuntersuchung zu den aufgewiesenen biographieübergreifenden Zusammenhängen. Wer sich für Leben und Glauben von Gottschalk, Jauch und Co. interessiert, wird diese ungewöhnliche Darstellung mit Gewinn lesen.

Bibliographische Daten:

Markus Schächter: Die Messdiener. Von den Altarstufen zur Showbühne.
Freiburg i. Br.: Herder Verlag, 2014.
192 Seiten, 18,99 EUR.
ISBN-13: 9783451299711

Josef Bordat

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