Donnerstag, 07.09.2006 | 20:59 Uhr
Autor: Andreas Schröter
Ein beeindruckendes Buch: Die Charaktere in Vikram Seths „Zwei Leben“ gehen einem nach dem Lesen so schnell nicht aus dem Kopf.
Ein Grund dafür mag sein, dass der 54-jährige indische Autor nicht die „zwei Leben“ von fiktiven Figuren beschreibt, sondern die von seinem Großonkel Shanti B. Seth und dessen Frau Henny. Das Buch ist somit kein Roman, sondern eine Doppelbiografie zweier – bis jetzt – unbekannter Menschen, die wirklich gelebt haben.
Shanti kam in den 30er Jahren aus Indien zum Studium nach Europa – zunächst nach Berlin und dann (weil er als „Nichtarier“ unter den Nazis seinen Beruf nicht ausübern konnte) nach London. Henny lernte er in Berlin kennen. Sie war die Tochter von Shantis Vermieterin und Jüdin. Während sie selbst 1939 nach London fliehen konnte, fiel ihre Familie dem Holocaust zum Opfer. Die Kapitel, in denen es um dieses dunkle Thema geht, gehören zu den beeindruckendsten und erschütterndsten im Buch.Auch Shanti blieb von den Deutschen nicht verschont. Als Hauptmann der britischen Armee verlor er in der Schlacht am Monte Cassino in Italien seinen rechten Arm. Nach dem Krieg heiraten Shanti und Henny in London, wo Shanti bis in die 80er Jahre hinein als Zahnarzt arbeitete. Auch der Autor selbst, der eine Weile bei den beiden wohnt, kommt im Buch vor.
Vikram Seth belegt diese zwei Leben in teils schwierigen Zeiten äußerst detailgenau anhand von zahlreichen Briefen und Fotos sowie mit Interviews, die er mit seinem Großonkel vor dessen Tod in den 90er Jahren führte. Dabei entsteht nicht nur ein abgerundetes Bild der beiden Hauptfiguren, sondern auch das vieler Freunde und Verwandter. Eine Recherche-Fleißarbeit, die sich unbedingt gelohnt hat.
Positiv hervorzuheben ist auch, dass Vikram Seth dabei der Versuchung widersteht, nur die guten Seiten Hennys und Shantis zu zeigen. Sie werden mit all ihren Macken und Fehler sehr lebensnah und glaubwürdig. Wollte man dennoch einen Kritkpunkt finden, so ließe sich sagen, dass das Buch an einigen Stellen zu ausufernd wirkt. 100 Seiten weniger (bei jetzt 544) hätten es perfekt gemacht.
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