Mittwoch, 15.11.2006 | 12:26 Uhr
Autor: Christoph Mann
Alleine die Idee ist eine Auszeichnung wert: Terry Kajuko wirft die Symbolik des Wilden Westens, vermischt mit dem Totenkopf der Piraten, über den Aufbau Ost. Der Wilde Westen, das bedeutet: Goldrausch, harte Sitten, Kampf ums Überleben, Gesetzlosigkeit, Raffgier..
Und wer immer noch die Frage stellen möchte, was das alles mit kapitalistischem Unternehmertum und der Phase nach dem Mauerfall zu tun hat, dem sei der Roman „Wild Wild Ost“ dringend ans Herz gelegt.Der Osten wird ein Teil der Bundesrepublik, noch sind keine Gesetze gebastelt, da begibt sich der schwäbische Mittelstand (auf den wir Vietelesschlürfer ach so stolz sind!) auf Goldsuche in die rechtsfreie Zone. Kleingärtner Stengele, in der Heimat sowieso auf dem brüchigen Glatteis mahnender Rechnung und drohendem Bankrotts nur durch geschickte Diplomatie und dem Jonglieren mit Zahlungsmodalitäten überlebend, beschließt aufzubrechen.
Ein Team aus Architekten, Klempnern, Notaren und Anwälten, unterstützt von einer religiös-inspirierten Partei, gesegnet mit dem Fehlen moralischer Selbstreflexion, macht sich auf gen Osten, um das Nugget abzuernten. Dort angekommen spielen sie, im Westen nur kleine Fische, sich auf wie die größten Haie, „Ich denke nicht, Herr Bürgermeister, dass Sie die notwendigen Technologie und solch ein professionelles Management zur Verfügung haben wie wir“, ist so ein Schlüsselsatz, die Milch wird verkauft bevor die Kuh überhaupt geboren ist, will sagen „Wir schaukeln das Ding“, obwohl Erzähler Stengele und Partner nicht den Hauch einer Ahnung haben, was sie tun.
Dennoch, die Ossis, von Terry Kajuku meist durch ein ständiges „Nu nu“ in der Rede dargestellt, zeigen sich so naiv wie die Indianer in Amerika: Keine Idee, welche Folgen Zahlungsmodalitäten haben oder wie man unterneherisch spricht. Von daher können die Wessi-Kapitalisten dort gehörig abräumen. Wegen einer solchermaßen ausgeführten Selbstbedinungsmentalität sind wir im Osten heute noch an manchen Orten unbeliebt. Stengele und Co, vor allem der Architekt Fabius Stoff, greiffen mit beiden Händen zu. Ohne darüber nachzudenken nehmen sie sich jede zur Verfügung stehende Frau, sind am laufenden Band besoffen, gehen im Puff ein und aus, kaufen sich Stretsch-Limos, Helikopter, Jachten, Villen und schließlich sogar einen Sportverein (Dynamit Dresden:).
An manchen Stellen, wenn die verheirateten Männer ihre Angetrauten vernachlässigen und betrügen, wenn der Alkohol fließt und das Koks über Straßen fegt, dann wird man an diese merwürdige, gedankenlose und primitive Erzählstruktur von American Psycho erinnert. Wohl auch deswegen, weil viel zu wenige Autoren so wie Bret Easton Ellis oder Terry Kajuko den Mut aufbringen, die Oberflächlichkeit des modernen Kapitalisten zum Thema zu machen und dahinter nicht mehr als ein großes, sinnloses Nichts zu entdecken.
Freilich, die schwäbischen Kapitalisten sind nicht so extrem wie die Amis, freilich, die von Terry Kajuko entworfenen schrulligen und lebendigen Personen dürften in der Realität gerade bei den Schwaben keine Entsprechung finden, und noch einmal freilich: Diese Exzellenz, Brutalität und Skrupellosigkeit, mit der Bret Easton Ellis auf die perverse kapitalistische Hülle eines lebendigen Toten hinweist, balanciert auf einem anderen Level als „Wild Wild Ost“. Dafür bleibt Terry Kajuko zu sympathisierend und warm und hütet sich (ganz der Schwabe) vor allzu großer Radikalität.
Auch wenn einen nicht das ungläubige Gruseln einer anderen Realität überkommt, so erwartet man im letzten Drittel des Buches ungeduldig darauf, dass endlich die Dramaturgie zu Wort kommt, Stengele und Stoff also den wohlverdienten Preis für ihre Frechheit bezahlen und das im Unwetter schlingernde Schiff endlich von den Wellen verschluckt wird. Eine wahre Freude ist es dann, zu lesen, wie die Katastrophe schließlich ihren Lauf nimmt.
So bleibt von der Lektüre eine nicht unrealistische romancierte Version eines Stücks Zeitgeschichte übrig, das stellenweise übertreibt, manchmal erheitert, hin- und wieder den Eindruck erweckt, pornografische Andeutungen als Selbstzweck zu benutzen und dann aber doch den Zeigefinger auf nackte Tatsachen legt.
Info: bestellbar ist dieses nach Bedarf in Freiberg am Neckar gedruckte Buch unter www.wildwildost.de.
Mit flattr kann man Bloggern mit einem Klick Geld zukommen lassen. Infos
17.11.2006 um 14:50 Uhr
Besten Dank für das Geschriebene. Jetzt sitze ich wieder ein wenig aufrechter über mein neues Skriptum.
Grüsse
Terry Kajuko
18.11.2006 um 6:03 Uhr
Der Roman hat mir zwei Tage meiner kostbaren Zeit geraubt was ich in keinster Weise bereut habe. Absolut zu empfehlen.
Weiter so. mit freundlichem Gruß
M. Stolz
18.11.2006 um 11:53 Uhr
Besser und ehrlicher kann man diese Zeit nicht beschreiben. Ich freue mich auf das nächste Buch.
Liebe Grüße
Susanne
27.11.2006 um 8:34 Uhr
War zwar noch nicht in Wyoming, aber der Roman überzeugt. Freue mich auf die Fortsetzung, wird auch wieder lesenswert.
Dietmar Deuring
28.11.2006 um 7:15 Uhr
Bestes Buch welches die Zeit nach der Wende klar, deutlich und direkt dokumentiert.Kein drumherum gerede sondern aus Sicht des Autors genau so beschrieben wie es sich in -zig Fällen so abspielte. Alleine dbei den Namen kommt man schon ins Schmunzeln: Luigi Rakete, Butta Blablagür, Martin Stengele …..
Hat Spass gemacht.
René Scholl
30.11.2006 um 15:51 Uhr
Gratulation an Terry.
Habe die ganze Geschichte im Buch wieder erkannt .Sie wurde in humorvoller Weise niedergeschrieben.Sollte es eine Fortsetzung geben, so bin ich sehr gespannt darauf.
08.12.2006 um 10:36 Uhr
Starkes Stück Zeitgeschichte.Man erkennt da ja allerlei Personen heraus. Ich selbst habe die Zeit mit 28 Jahren hautnah miterlebt. Große Klasse.
Dieter aus Dresden
05.02.2007 um 14:47 Uhr
Super! Endlich versenkt mal einer mit dem knallharten kapitalistischen DM-Hammer den rostigen Nagelkopf der Gleichheit und Menschlichkeit. Wir waren nun mal anders. So war es, habe ich selbst erlebt, unverblümt, ehrlich und direkt heraus. Wünsche dem Autor viel Erfolg mit dem Roman.
War nen Tip von einem „Dynamit-Fan“.
Grüsse Chris
23.10.2007 um 14:50 Uhr
Das Buch ist Spitze. Und jetzt überarbeitet und in neuem Gewand neu erschienen. Noch besser als vorher!
17.11.2007 um 7:35 Uhr
Das Buch ist sehr spannend geschrieben.Leider gibt es aus dieser Zeit zu wenig Literatur in der Art wie es Terry Kajuko beschreibt.
Grüsse an alle die diese Zeit wie ich hautnah miterlebt haben.
Sabine
11.08.2009 um 12:28 Uhr
Als ich im Himmel diesen Roman las,schaute ich wehmutig auf meine DDR und dachte: Honny da hast du was verpasst.
03.11.2010 um 23:52 Uhr
Das Orginal habe ich genossen und finde es bessser als die abgespeckte Variante vom Plöttner-Verlag,welches ich mehr, leider, erst jetzt gekauft habe.
07.02.2012 um 15:02 Uhr
Gutes Buch!!! Das Orginal habe ich auf dem Flohmarkt erworben und mit auch die Fassung vom Plöttner-Verlag gekauft.Es soll aber wohl eine neue Ausgabe geben. Freue mich darauf
15.08.2012 um 17:45 Uhr
Die Rezi ist genauso geil wie das Buch. Die Orginalausgabe ist besser als die vom Plöttner-Verlag. Auf der HP von Terry Kajuko ist wohl jetzt die 3.Auflage zu erhalten.Bin mal gespannt wie diese abgeht. http://www.kajuko.de
19.09.2012 um 6:39 Uhr
Super Buch.Ich habe mir die neuste Ausgabe letzte Woche gekauft und im Urlaub fertig gelesen. Mit Spannung und mit einem Schmunzeln habe ich die Zeilen verschlungen. Da ich aus dem Osten von Berlin komme und mit einem Wessi verheiratet bin,konnte ich der wilden Zeit nach der Wende so richtig nachfühlen.
15.10.2012 um 6:01 Uhr
Ich erinnere mich sehr gut an diese Zeit nach der Wende. Muss dem Autor zu seinem Wendezeit-Roman als Ossifrau aus Dresden ein dickes Lob aussprechen!
19.10.2012 um 13:17 Uhr
Wild Wild Ost – Deftige schwäbisch-sächsische Hausmannskost mit reichlich Chilly gewürzt. Nichts für Vegetarier oder kalorienbewusste Nahrungszubereiter.Hier haut der Hausherr schon mit schmackes auf den Literaturtisch und kippt sich a Viertele oder ein Radeberger mit seinen Mitstreiter beim proletisiern in Kopf. Mir hat das Menü durchaus geschmecket 😉
13.05.2013 um 6:35 Uhr
Frech und erfrischend geschrieben. Ich konnte der Lesung in Dresden ‚Berghotel Wilder Mann‘ zulauschen. Toll und zu empfehlen die 3. Ausgabe. Im Anschluss von ‚Wild Wild Ost‘ die Lesung über die Fremdenlegion die mir auch sehr gut gefallen hat. Das Buch konnte ich mit Autogramm ebenfalls kaufen. Einen Sachsenkuss an Terry 🙂
04.08.2013 um 10:53 Uhr
Terry Kajukos Wild Wild Ost ist der Brüller. Habe das Buch über seine HP bestellt. Mit Autogramm. Empfehle ich.
27.11.2013 um 7:17 Uhr
Wild WIld Ost habe ich verschlungen. Das Neue Buch ‚Neulich in Gambia‘ ist eine Urlaubsgeschichte der humorvollen Art. Unbedingt lesen. Mit vielen Bildern. Leider nur als e-book.
14.04.2014 um 6:22 Uhr
„Wild Wild Ost“ von Terry Kajuko ….
Meine Mama hielt es zuerst in den Händen und hatte es sogleich verschlungen. “Das musst Du gelesen haben!” So Ihr Kommentar. Ich war sehr gespannt…. auf das Buch “Wild Wild Ost” von Terry Kajuko. Als “Insiderin” der wilden Wendezeitjahre in den neuen Bundesländern konnte ich es kaum erwarten, das Erlebte auch einmal aus der Sicht und Feder eines Mannes zu… betrachten und zu lesen. Und ich wurde keineswegs von meinem „männlichen Pendant“ enttäuscht. Ob Personen, Schauplätze oder Situationen, alles wird so real und authentisch beschrieben und obwohl Terry seine Erlebnisse im Romanstil verarbeitete, war ich auf einen Schlag wieder mitten im Geschehen. Sicher…. er ist ein Mann, darüber hinaus auch noch ein “(Garten-) Bauigel” und seine Ausdrucksweise manchmal etwas herber, als die einer Frau, dafür aber auch geradliniger und auf den Punkt – und ja – es war so, so und nicht anders! Ich habe beim Lesen das Revuepassieren dieser völlig verrückten Zeit sehr genossen, danke Terry für diesen wunderbaren, höchst amüsanten, aber auch hintergründigen Wendezeitenroman und ich wünsche Dir weiterhin von ganzem Herzen viel Erfolg damit !!!
22.03.2015 um 16:49 Uhr
‚Wild Wild Ost‘ ist der Knaller! Vulgär, obszön, versaut und doch (oder gerade deswegen?) so genial und einzigartig. Für konservative Spießgesellen oder political correctness, weltverbessernde Gutmenschen vielleicht nur bedingt zu empfehlen ;-). Für alle anderen: lesen, mitlachen, mitfeiern und einfach nur geniessen. Terry Kajuko hat hier wohl die Wendezeit BRD/DDR am Besten von allen Schriftstellern auf Papier festgehalten. Achtung es gibt mittlerweile drei Ausgaben. Ich habe die Dritte, nicht diese Schmalspurversion vom Plöttner-Verlag. Die erste ist vergriffen. Tipp: am besten auf der HP von Terry Kajuko nachschauen .www.kajuko.de
29.01.2016 um 10:04 Uhr
Sauber wie Terry Kajuko diese irre Wendezeit auf Papier festgehalten hat. ´Wild Wild Ost´ inspirierte wohl das renommierte und bekannte Hoftheater Dresden so sehr, dass es als Theaterstück seit 2015 vor ausverkauftem Publikum aufgeführt wird. Achtung es gibt zwei verschieden Ausgaben des Buches. Nicht zu empfehlen ist die gekürzte und abgeänderteFassung des insolventen Plöttner-Verlages.
26.04.2016 um 10:40 Uhr
Ich sage nur, das beste West-Ossi Buch, welches ich bisher gelesen habe. Spass, Sex, Drogen, Broiler, Dynamo Dresden und andere skurile Wesen.
23.05.2016 um 4:29 Uhr
Die neusste Ausgabe habe ich erhalten und finde Wild Wild Ost richtig gut. Sehr zu empfehlen. Klasse Terry Kajuko