Mittwoch, 21.11.2012 | 16:56 Uhr
Autor: Chris Inken Soppa
Bienen sterben heute überall auf der Welt; zwischen den deutschen Brüdern Richard und Walter starb einst die Geschwisterliebe. Wie fremd sind sie sich geworden, nachdem sie im geteilten Land schier unzertrennlich waren, ein Bruder im Westen, der andere im Osten! So paradox es klingt: die Mauer hielt sie zusammen, wie Magnete richteten sich die beiden auf den großen gemeinsamen Gegner aus, den unfähigen, utopischen, real existierenden Sozialismus. Trotz aller Grenzen war man eine intakte Familie, der Ostbruder steuerte selbstgeimkerten Honig bei, der Westbruder Werkstoffe vom Baumarkt.
Und dann fiel die Mauer, die Utopien schwanden, Träume von der großen weiten Welt konnten auf einmal gelebt werden und wurden damit unbedeutend, wichen der Kleinlichkeit. Man begann aufzurechnen. Wer hat mehr gelitten, wer kriegt Haus und Grund, wer hat recht, wer unrecht, wem gebührt der Dank fürs Zurückstecken, wer ist der bessere Mensch? Selbstmitleid versus Überheblichkeit, was vor der Entzweiung latent vorhanden war, bricht nun offen aus. Jetzt, da sich die Brüder jeden Tag unbehelligt sehen könnten, sprechen sie nicht mehr miteinander. Wie die Bienen sind sie von einem Parasiten befallen, der ihre Hirne lähmt und ihnen die Orientierung nimmt. Grübelnd kreisen sie in irrem Schwänzeltanz um vergangene Ungerechtigkeiten, kommen nicht davon los, vergessen darüber die Zukunft.
Kornelia, die Tochter und Nichte der beiden, erzählt von ihrem Wunsch, die Brüder wieder miteinander zu versöhnen. Ihr eigener Bruder Jens ist da keine Hilfe. Als kalter Esoteriker, der Gelassenheit mit Gleichgültigkeit verwechselt, interessiert er sich nur für sein eigenes Erwachen. Also träumt sich Kornelia Hilfe herbei: die verstorbenen Großeltern, um deren geistiges und materielles Erbe es schließlich geht …
Auf angenehm unpathetische Weise erzählt Katrin Seglitz eine deutsch-deutsche Geschichte, deren Titel wie ein Märchen klingt, wie das Märchen von den blühenden Landschaften. Geschickt durchsetzt Seglitz ihr Buch mit historischen Anhaltspunkten, Traumpassagen, wunderbar einfühlsamen Beschreibungen west-östlicher Befindlichkeiten und Wortspielen, die ganz selten mal ausufern, aber auch die Sprachverliebtheit der Autorin verraten. Das Resultat: ein gelungenes, packendes Romandebüt zu einem großen deutschen Thema.
Katrin Seglitz
Der Bienenkönig
Weissbooks GmbH Frankfurt am Main 2009
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