Samstag, 17.06.2017 | 12:43 Uhr
Autor: Christiane Geldmacher
Wenn man gerade die Autobiografie des Amerikaners >>>Tom Robbins gelesen hat – die sich in jeder Hinsicht freigeschrieben hat – hat eine Biografie Walter Benjamins sicherlich einen schweren Stand, der jedoch nicht nur an den Zeitläuften liegt.
Walter Benjamin wurde am 15. Juli 1892 in Berlin geboren und nahm sich am 26. September 1940 auf der Flucht vor der Gestapo an der spanischen Grenze das Leben. Er übersetzte die Werke von Honore de Balzac, Charles Baudelaire und Marcel Proust, er arbeitete über Franz Kafka, sprachphilosophische und ästhetische Themenkomplexe und gilt als brillanter Philosoph und Gesellschaftskritiker. Seine Sympathien galten dem Kommunismus, aber er hielt immer Abstand zu Parteien.
Kaufmann, Detailtuchhändler, Tabak- und Zigarrenfabrikant: Das waren ausgeübte Berufe aus Walter Benjamins Familie. Seine Eltern waren Kunst- und Antiquitätenhändler in Berlin. Benjamin wächst in einer großbürgerlichen, jüdisch-assimilierten Umgebung mit zwei Geschwistern in Grunewald auf. Er macht das Abitur, geht zunächst nach Freiburg, um Germanistik, Philosophie und Kunstgeschichte zu studieren, wechselt später nach Berlin zurück, setzt das Studium in München und schließlich Bern fort. Hier promoviert er 1919 über den „Begriff der Kunstkritik in der deutschen Romantik“. 1923 hat er wichtige Begegnungen mit Theodor W. Adorno und Siegfried Kracauer. Das Frankfurter „Institut für Sozialforschung“ wird für ihn zu einem wichtigen Bezugspunkt in seinem Leben werden. Seine Habilitationsschrift beschäftigt sich mit dem Thema des Barock-Trauerspiels, wird aber von der Universität Frankfurt am Main abgelehnt. Später wird er sie auf eigene Faust veröffentlichen.
Er kehrt nach Berlin zurück und lebt dort als freier Autor und Kritiker. Ein Linker, hält er sich eine Zeitlang in Moskau auf, freundet sich mit Bert Brecht an, verbringt die Sommer auf Ibiza. 1933 emigriert er nach Paris, hat aber zu wenig Geld. Er wird Mitglied des Collège de Sociologie, das von Georges Bataille, Michel Leiris und Roger Caillois gegründet worden ist und schreibt für Max Horkheimers „Zeitschrift für Sozialforschung“ Essays. Sein wohl berühmtester Aufsatz ist „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“, das von Max Horkheimer in der „Zeitschrift für Sozialforschung“ veröffentlicht wird und dessen Hauptthese es ist, dass die Einmaligkeit der Kunstwerke durch ihre Reproduzierbarkeit in Frage gestellt ist, sich dadurch aber die Möglichkeit zur Politisierung der Massen ergibt.
Als Frankreich von den Nazis besetzt wird, kommt Benjamin für drei Monate in ein Internierungslager. Daraufhin entschließt er sich zur Emigration in die USA. An der frtanzösisch-spanischen Grenze wartet er vergeblich auf ein Visum; als seine Auslieferung an die Gestapo droht, nimmt er sich mit einer Überdosis Morphium in Port Bou das Leben.
All dies und noch viel mehr erfährt man in Lorenz Jägers Biografie Walter Benjamins. Interessant zu lesen ist das Buch vor allem wegen der Lage der Intellektuellen zu Zeiten der Weimarer Republik und des Dritten Reiches. Jäger versteht es ausgezeichnet, hier authentische Zeugnisse zusammenzutragen, die sehr anschaulich die Atmosphäre jener Zeit wiedergeben und den Weg deutscher Intellektueller nach links und nach rechts.
Mitunter schweift Jäger zu oft ab und es gibt auch zu viel literatur-germanistisches Namedropping, das man zunächst erst gar nicht bemerkt; mitunter wird es allzu akademisch mit zu vielen sicher fleißig recherchierten aneinandergereihten Zitaten, denen bedauerlicherweise keine frei geschriebenen Absätze auf Augenhöhe entgegengestellt sind. So fehlt mitunter ein eigener, originärer – also mitreißender – Stil, der diese Biografie immer wieder seltsam unorganisch und leblos wirken lässt. Vom akademischen „Wir“ gar nicht zu reden, das außerhalb der Universitäten eher auf die Nerven geht.
Für die weitere Auseinandersetzung mit dem Werk Walter Benjamins ist diese Arbeit aber sicherlich fruchtbar – innerhalb der Germanistik und Philosophie sowieso.
Walter Benjamins Bruder Georg, ein Kinderarzt, wurde im KZ Mauthausen ermordet; seine Schwester Dora, eine Sozialwissenschaftlerin und Psychologin, starb 1946 in der Schweiz an Krebs.
Lorenz Jäger: Der Unvollendete, Rowohlt Berlin, 400 Seiten, ISBN: 978-3-87134-821-1
Tags: Walter Benjamin
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