Montag, 27.09.2010 | 11:47 Uhr
Autor: JosefBordat
Thomas Homer-Dixon sieht Chancen für eine vierfache Wende zum Guten
Der Klimawandel wird in der Regel als Bedrohung angesehen und dass, was uns die Klimaforscher an Prognosen stellen, sieht auch bedrohlich aus: die Polkappen und Gletscher schmelzen, der Meeresspiegel steigt, extreme Wetterphänomene wie Dürre, Stürme und Starkregen nehmen zu. Als Folge: Ernteausfall, Verteilungskämpfe, Migration. Spätestens dadurch ist auch unsere europäische Wohlstandsgesellschaft bedroht. Kurz: Unsere Lebensweise steht zur Disposition.
Da das so ist, muss genau dort angesetzt werden. Dem Klimawandel, so Thomas Homer-Dixon, Autor des Essays „Der heilsame Schock“, begegnet eine Gesellschaft am besten durch Kulturwandel. Dieser sei noch rechtzeitig zu bewerkstelligen, da via Internet die rettende Marschroute global kommuniziert werden könne, die sich die Menschheit dank ihres „außerordentlichen analytischen Potenzials“ ausdenkt.
Kommunikation und analytisches Potenzial, das ist freilich nur die halbe Miete. Es braucht zudem den passenden politischen Willen. Angesichts dessen, was in Indien und China derzeit geschieht – der Aufbau von gigantischen Karbon-Industrien – mag man daran zweifeln. Auch Homer-Dixon ist freilich nicht so naiv zu glauben, dass sich der Wandel problemlos vollziehen kann, wenn nur die richtigen Menschen das richtige Programm in Blogs und Foren posten. Statt dessen spricht er von einem Kulturwandel auf vier Ebenen: der kognitiven, der ökonomischen, der politischen und der normativen Ebene.
Besonders wichtig, dass Homer-Dixon den Resilienzansatz erwähnt. Resilienz als Fähigkeit eines Systems (vornehmlich technischer Systeme, aber auch des sozialen Systems „Gesellschaft“), mit Schwächen und Fehlern so umzugehen, dass sich daraus keine Katastrophen entwickeln, wird eine Schlüsselrolle in der zukunftsfähigen Gesellschaft spielen, denn „Störungen“ durch den Klimawandel wird man in ihrem Auftreten nicht ganz vermeiden, sondern nur noch in ihrer Wirkung abschwächen können. Wie man die ökologische Widerstandsfähigkeit einer Gesellschaft konkret erhöhen kann, führt Homer-Dixon nicht aus, erwähnt aber, dass Flexibilität eine wichtige Eigenschaft resilienter Systeme ist und diese wiederum mit dem Vernetzungsgrad zusammenhängt, wobei das Optimum dort liege, wo einerseits Kommunikation und Kollaboration möglich, wo jedoch andererseits keine zu große Komplexität gegeben ist, die das System schwerfällig macht.
Schließlich begründet Homer-Dixon den Wert der Wende mit einer Abwandlung der Pascal’schen Wette: Die Vermeidungs- und Anpassungsmaßnahmen seien selbst dann sinnvoll, wenn der Klimawandel nicht so stark erfolge wie angenommen, denn das Risiko, dem Klimawandel unvorbereitet entgegenzutreten, sei viel zu groß und dann zu treffenden Maßnahmen viel weniger erfolgversprechend und zudem viel teurer.
Das ist sicher richtig, auch wenn Pascals Wahrscheinlichkeitskalkül nur der letzte argumentative Rettungsanker ist. Vorrangig ist die Einsicht in die Notwendigkeit, und dazu gehört eine ethische Grundorientierung, die sich politisch und normativ niederschlägt. Dass Homer-Dixon diesbezüglich meint, in „Kirchen, Moscheen oder Synagogen“ könne man nichts über Moral lernen, weil dort nur Glaubenslehren verkündet werden, die nicht Gegenstand von Diskussionen seien (sic!) und über die man folglich „nicht wirklich nachdenken“ könne (sic!), entspricht möglicherweise seiner negativen Erfahrung und er mag damit vielleicht in religionskritischen Intellektuellenzirkeln punkten, seine Einschätzung kann aber nicht verallgemeinert werden, mehr noch: Sie stimmt so nicht, denn über Moral lässt sich nicht nur diskursiv „nachdenken“. Zudem hängt die Moralität, die mit Glaubenssätze vermittelt wird, wohl sehr stark von den Glaubenssätzen ab. Hier „die“ Religion einzuführen, ist, obgleich mittlerweile üblich, mehr als vereinfachend: Es ist schlicht falsch, alle über einen Kamm zu scheren. Und der Ansicht zu sein, beim großen Kulturwandel kurzerhand ohne den kulturellen Impetus der drei abrahamitischen Religionen, denen 60 Prozent der Menschheit angehören (Tendenz steigend!), auskommen zu können, ist zudem ein so schlechter Ausgangspunkt, dass man an der Ernsthaftigkeit der Kulturwandel-These zu zweifeln beginnt.
Thomas Homer-Dixons Büchlein „Der heilsame Schock“ enthält einige interessante Gedanken. Um allerdings wirklich als „Mutmacher“ fungieren zu können, bleibt der Text leider viel zu oberflächlich. Dass er im Rahmen einer auf dem Weg zur größeren ökologischen Widerstandsfähigkeit sicherlich nötigen moralischen Neuorientierung Diskursethik gegen religiös fundierte Morallehren (und damit letztlich „Denken“ gegen „Glauben“) auszuspielen versucht, gibt dem Text einen negativen Beigeschmack.
Bibliographische Daten:
Thomas Homer-Dixon: Der heilsame Schock. Wie der Klimawandel unsere Gesellschaft zum Guten verändert
München: Oekom (2010)
79 Seiten, € 8,95
ISBN: 9783865812148
Josef Bordat
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30.09.2010 um 0:07 Uhr
Diese Buchbesprechung gefällt mir, weil sie den Gehalt des Buches und Argumentationsschwächen des Autors auf faire Art zusammenfasst.
Vielen Dank!