Dienstag, 22.11.2005 | 11:12 Uhr
Autor: Christian Köllerer
Hunderte Menschen kamen im November in die Nationalbibliothek als Diamond dort sein Buch vorstellte (in einem fehlerfreien Deutsch übrigens). Viele scheinen jedoch nicht von ihrem plötzlich erwachten Interesse für Soziogeographie getrieben zu sein, sondern von fragwürdigeren Motiven. Das bemerkte man in der Fragestunde nach Diamonds Vortrag, wo sich Vulgärantiamerikanismus mit Xenophobie abwechselte.
„Guns, Germs and Steel“ („Arm und Reich“) war eines der spannendesten historischen Bücher der neunziger Jahre. Das lag nicht nur an dem Mut Diamonds, entgegen dem Trend zur Spezialisierung große Linien zu ziehen, sondern auch an seinem methodischen Ansatz: Die Problemen wurde mit einer Vielzahl naturwissenschaftlicher Methoden angepackt, was unter Historikern eine Seltenheit darstellt. Zu dem spannenden Thema, warum sich die Kulturen auf den Kontinenten so unterschiedlich entwickelt hatten, konnte man die Studie auch „wissenschaftstheoretisch“ lesen.
Grund genug also, sofort Diamonds neues Buch sofort zu lesen. Um es gleich vorweg zu sagen: Es hat nicht den Ausnahmerang seines Vorgängers. Trotzdem ist es ein außergewöhnlich lesenswertes Sachbuch. Der erste Teil fungiert als Einleitung und schildert die zahlreichen Umweltprobleme des vermeintlich so „natürlichen“ US Bundesstaates Montana. Daran schließen eine Reihe von historischen Fallstudien an, die sich mit untergegangenen Gesellschaften beschäftigen. Darunter die Ureinwohner der Osterinseln, die Maya und die Vikinger. Anhand eines Kriterienkatalogs werden die kausalen Faktoren für den Zusammenbruch dieser Kulturen analysiert.
Im dritten Abschnitt stehen aktuelle Beispiele im Mittelpunkt. Hier sticht vor allem das Kapitel über Ruanda heraus. Diamond sieht einen maßgeblichen Grund für den Genoizid in der Überbevölkerung des Landes. Die Ausführungen über China und Australien sind ebenfalls sehr instruktiv.
Der letzte Teil des Buches zieht die praktischen Lehren aus den geschilderten Fällen. Darunter die Notwendigkeit, Werte regelmäßig auf ihre „Gefährlichkeit“ hin zu überprüfen, was das Überleben einer Gesellschaft angeht.
Diese kurze Zusammenfassung wird dem Detailreichtum des Buches nicht gerecht. Der Autor greift auch immer wieder auf das Mittel der Reportage zurück. Man erfährt viel Neues aus dem Buch. Es ist strukturell aber weniger elegant als „Guns, Germs and Steel“. Die Analogien zwischen den historischen Fällen und der Gegenwart können manchmal nicht überzeugen (oder liegen ziemlich auf der Hand), da helfen auch die Argumente gegen die „Skeptiker“ nur bedingt, die Diamond am Ende seines Buches bringt. Die Lektüre lohnt sich unbedingt, man hofft, dass vor allem „Entscheidungsträger“ die Botschaft verstehen.
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